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„Ullstein“ – mehr Moderne war nie

Mit Zeitungen macht man Geld, nicht Meinung. Ullstein hatte für jeden etwas im Angebot. Der zeitweise größteVerlag der Welt scheute die Konfrontation mit den Nazis. Die waren nach der Machtergreifung weniger zimperlich

Berlin hat in den Zwanzigerjahren endlich Leipzig den Rang als die deutsche Zeitungsstadt abgelaufen. Nicht mehr langweilige Parteizeitungen werden angeboten, sondern Massenpresse: aktuell, billig, verständlich. Es geht nicht länger um das Verbreiten einer bestimmten Meinung. Mit Zeitungen lässt sich zum ersten Mal in der Geschichte richtig viel Geld machen. In Berlin verdienen vor allem drei: Mosse, Scherl und Ullstein heißen die alle im Zeitungsviertel um die Kochstraße beheimateten, noch heute legendären Verlagshäuser dieser Zeit – und Ullstein ist das größte und profitabelste dieser Unternehmen.

Die große deutsch-jüdische Familie Ullstein, die als Papiergroßhändler eher zufällig zum Zeitungsmachen gekommen war, druckt in den Zwanzigern alles, was Leser findet. Der Berliner abonnierte die Tageszeitung Berliner Morgenpost (700.000 Auflage), bestaunte eine ganz neue Art Fotojournalismus in der Berliner Illustrirten Zeitung (2 Millionen Auflage) und griff in der Mittagspause zur B.Z. am Mittag, einer Zeitung im Boulevardstil. Cash-Cow des Verlages ist ab 1927 die Grüne Post, eine auf blassgrünem Papier erscheinende Wochenzeitung. Auch Qualität findet bei Ullstein statt. Die Vossische Zeitung, deren legendären Ruf Fontane und Lessing begründet hatten, gehört zu dieser Zeit zum Konzern.

Als erster und einziger Verlag veröffentlicht Ullstein die Auflagenhöhe seiner Blätter. Die Ullstein’sche Morgenpost gewinnt den ersten Berliner Zeitungskrieg gegen den Berliner Lokal-Anzeiger des Konkurrenten Scherl, und der Verlag baut in Tempelhof ein neues Druckhaus: Der erste in Eisen gegossene Hochbau in Deutschland – Stein allein hätte den Vibrationen der gigantischen neuen Rotationsmaschinen nicht standgehalten. Den „Turmbau zu Tempelhof“ nennt dies Haus der Zeitungshistoriker Peter de Mendelssohn. Mehr Moderne war nie. Ullstein scheint unbesiegbar.

Aber 1929 bricht die Wirtschaft zusammen, und die Konjunktur wird auch für die Presse schwieriger. Längst versorgt Alfred Hugenberg, von der Schwerindustrie an der Ruhr finanzierter Tycoon, die Provinzpresse mit republikfeindlichen Inhalten. In Berlin gehört dem späteren Steigbügelhalter Hitlers schon der Scherl-Verlag, Hugenberg bekämpft den liberalen Konkurrenten Mosse aufs Blut. Ullstein gilt ebenfalls als liberal – bleibt aber von Hugenberg weitgehend unbehelligt.

In den Ullstein’schen Qualitätszeitungen wird vor den aufkommenden Nazis gewarnt. Der Publizist Erik Reger etwa veröffentlicht schon im Herbst 1931 eine kritische „Naturgeschichte des Nationalsozialismus“ in der Vossischen. Aber die Massenblätter des Verlages, die in Millionenauflage unter den von den Nazis umworbenen Angestellten, Beamten und kleinen Selbständigen kursieren, bleiben politisch indifferent. Hermann Ullstein, einer von fünf verlagsleitenden Familienmitgliedern, will dies ändern. Er drängt darauf, die mächtige Morgenpost und die Berliner Illustrirte Zeitung gegen Hitler in Stellung zu bringen. Seine Brüder lehnen ab.

Nach der Machtergreifung versucht sich das Haus Ullstein mit den Nazis zu arrangieren. Anteile werden auf „arische“ Familienmitglieder verteilt, jüdische Journalisten entlassen. Man druckt Fotoreportagen über Hitler und stellt die Vossische Zeitung ein. Goebbels aber schießt Ullstein gezielt sturmreif. Einen mutigen Text von Chefredakteur Ehm Welk nimmt der Reichspropagandaminister zum Anlass, die Grüne Post zu verbieten. Der Verlag ist fällig – im Juni 1934 verkauft die Familie für ein Zehntel des wahren Unternehmenswertes. Über Strohmänner gehört Ullstein nun der NSDAP – und heißt bald „Deutscher Verlag“. ROBIN ALEXANDER

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