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Hoffnung auf eine auftreibende Kraft

Matthias Lilienthal ist als neuer Geschäftsführer der Hebbel-Theater-GmbH empfohlen worden. Der diesjährige Programmdirektor des „Theaters der Welt“ hat mit Frank Castorf die Volksbühne zu dem gemacht, was sie heute ist. Am Halleschen Tor wartet auf ihn neuerlich brachgelegtes Potenzial

„Im Theater hast du die Verpflichtung, junge Leute zu holen“

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Eigentlich war schon Sommerpause in der Berliner Kulturpolitik angesagt, da sickerte doch noch eine verheißungsvolle Personal-Nachricht durch. Die Kommission, die für die Hebbel-Theater-GmbH einen Geschäftsführer suchen sollte, empfahl Matthias Lilienthal, den derzeitigen Leiter des Theaters der Welt. Das Gremium bestand aus dem Berliner Publizisten Ivan Nagel, Elisabeth Schweeger, Intendantin des Schauspiels Frankfurt, und der Leiterin des Kai-Theaters Brüssel, Frie Leysen. Das Kai-Theater gehört zu den wichtigen Bühnen im Netz der Performances, mit denen sich das Hebbel-Theater austauscht. Wenn, wie sich in Frankfurt abzeichnet, das TAT als eigenständiges Theater abgewickelt wird, wächst die Bedeutung des Hebbel-Theaters als Partner internationaler Koproduktionen.

Der gute Ruf von Matthias Lilienthal als auftreibende Kraft im Theaterbetrieb beruht im Gründungsmythos der Volksbühne, die er seit 1991 als Chefdramaturg zusammen mit Intendant Frank Castorf aufbaute. Von einer Platzausnutzung von 15 Prozent spielten sie das Haus in die Charts. „Da war kein Publikum, das man hätte vertreiben können“, sagte Lilienthal rückblickend. Die Entwicklung einer ostdeutschen Perspektive im Blick auf die Bundesrepublik, ohne Ostalgie, hypersensibel gegen Ideologien, seien sie schwarz, rot oder grün gewesen, gewann ein Publikum für das Theater, das in seiner Mischung neu war. Der Hunger nach Theorie ebenso wie nach Pop wurde einem harten Gebrauchstest an den thematischen Wochenenden unterworfen, die Lilienthal als Instrument erfand, schneller auf die Gegenwart zu reagieren als mit dem theaterüblichen Spielplan.

Als er die Volksbühne 1998 verließ, um die eigene Routine durcheinander zu bringen, sagte er der taz in einem Interview: „Im Theater hast du die Verpflichtung, junge Leute ranzuholen, und dazu musst du wissen, was sie lesen, welche Musik sie hören und was sie über die Welt denken. Da ist nach fünf Jahren schon alles anders.“ Genau diese Hellhörigkeit aber ließ das Hebbel-Theater, das in den Gastspielen oft einem vergangenen Avantgarde-Begriff treu blieb, manchmal vermissen. Schon deshalb ist die Empfehlung Lilienthals vielversprechend. Selbst als diesjähriger Leiter des Theaters der Welt – ein Festival in Duisburg, Köln, Düsseldorf und Bonn – zog es Lilienthal vor, nicht wie ein Intendant aufzutreten, sondern wie jemand, der im letzten Moment eher zufällig ins Theater kommt und keine Zeit hatte, sich umzuziehen.

Im Theater der Welt gab es Produktionen, die von Choreografen oder Regisseuren in Wohnungen entwickelt wurden, wie ein Geschenk an die Bewohner und Würdigung des einzelnen Lebens. Es gab mit der Kopie einer Bundestagsitzung oder Schlingensiefs Skandalisierung von Möllemanns Normalität Versuche, sich der demokratischen Instrumente der Politik bewusst zu werden und nach ihrer Benutzbarkeit zu fragen.

Mit aufwühlenden Szenen von Verdammnis und Hinrichtung, für die das Publikum in eine Justizvollzugsanstalt kommen musste, zeugte das Theater auch wieder von einer Dringlichkeit, sich mitzuteilen, wie sie im Rauschen des Kommunikationszeitalter sonst kaum zu spüren ist. All das war auch international. Aber die Qualität des Festivals machte vor allem die Vielfalt der Herangehensweisen aus.

Solch starker Input wäre für Berlin sehr wünschenswert. Dennoch ist es für Jubel zu früh, denn die Gründung der Hebbel-Theater-GmbH ist mit Problemen verknüpft, die sich nicht allein durch einen personalpolitischen Coup lösen lassen. Die Idee, das Hebbel-Theater, das Theater am Halleschen Ufer und das Theater am Ufer in einer GmbH zusammenzuschließen, ist alt: Dafür sprachen immer neben der räumlichen Nähe die gemeinsamen Interessen am Experiment, am Tanz und intermedialen Performances.

Immer wieder war in den vergangenen Jahren die Rede davon, sich den nahen Potsdamer Platz als potenzielle Klientel zu erschließen, aber eine Umsetzung gelang nicht. Die Ausschreibung des Geschäftsführer-Postens verlangte, ein Konzept für alle drei Bühnen vorzulegen, das ohne finanziellen Mehrbedarf auskommt.

Zum Schrecken der Senatskulturverwaltung aber ging schon die Findungskommission davon aus, dass dies nicht möglich ist. Dem Theater am Halleschen Ufer und dem Theater am Ufer fehlen eigene Produktionsmittel, der Zuschuss im Hebbel-Theater – 3,4 Millionen Euro – reichte nicht mehr für ein durchgehendes Programm. Mit einem unterfinanzierten Haus zwei nicht finanzierte Häuser aus der Problemzone zu ziehen, kann sich auch Lilienthal nicht vorstellen. Gespräche mit der Senatsverwaltung für Kultur und Lilienthal, der jetzt in den Theatern die Lage sondiert, stehen an.

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