EIN EINZIGES MAL RISKIERT LEO KIRCH ETWAS – UND SCHON GEHT ER PLEITE: Der alimentierte Vielfraß
„Akkumuliere, akkumuliere, das ist Moses und seine Propheten“ – Leo Kirch, der fromme Vielfraß, hat diese von Karl Marx auf den kapitalistischen Unternehmer gemünzte ironische Gebrauchsanweisung allzu wörtlich genommen. Er hat sich überfressen bzw. das Falsche geschluckt, und jetzt herrscht in ganz Deutschland Aufgeregtheit. Nationalistische Ressentiments gegen auf der Lauer liegende ausländische Konkurrenten werden geschürt, ganz so als ob Kirch der Bannerträger der Kultur gewesen sei. Dabei pfeift Murdoch, der erste Übernahmekandidat, selbst auf dem letzten Loch, und Berlusconi, der zweite, hat sich den Staat vorsichtshalber unter den Nagel gerissen, um seine Unternehmungen im Bedarfsfall zu sanieren.
Woher die öffentliche Erschütterung? Immer noch umgibt den „freien Unternehmer“ in Deutschland die Glorie des Wagemuts, der Risikobereitschaft. Und jedes Mal, wenn wir von Fehlplanungen hören, von der Verkennung der Marktbedingungen, von Versteinerung der Chefetagenbewohner, überkommt uns ungläubiges Staunen. Aber womit hat Kirch seine Kohle gemacht? Mit einem topsicheren Geschäft, der Verramschung billigst erworbener Filmrechte ans Fernsehen, hauptsächlich ans öffentlich-rechtliche. Von Risiko keine Spur. Erst als er sich in die „neue Dimension,“ ins digitale Geschäft, vorwagte, kenterte prompt das Flaggschiff „Kirch Pay-TV GmbH & Co. KGaA“.
In Großbritannien würde keine Träne in der Öffentlichkeit vergossen, falls Murdoch nicht die Kurve kriegt. Aber in Deutschland hat der Unternehmer, falls es ernst wird mit dem Risiko, bei der Regierung stets gute Karten. Natürlich, die Sorge um die Arbeitsplätze. Und um das kurzfristige Image als Firmenretter. Und wenn schon nicht Kirch gerettet werden kann, dann wenigstens die Bundesligavereine, die uns – als mittelbare Opfer der Kirch-Pleite – erhalten bleiben müssen, damit sich die deutschen Identitätsbedürfnisse noch an ein Verehrungsobjekt klammern dürfen.
Noch ist das Kirch-Drama nicht abgedreht, schon wird an der Firmenlegende gebastelt. Jetzt ist Leo Kirch der Mittelständler, der sich tragischerweise ins falsche Stockwerk verirrt hat, wo die Großbanken walten, und der diesen illegitimen Ausflug ins Reich des Monopolkapitals jetzt teuer bezahlen muss. So im gestrigen Wirtschaftsteil der FAZ unter dem Titel „Das feingesponnene Netz zerreißt“. Als ob die Banken dieses Netz nicht mitgeknüpft und dem Hasardeur nicht – wie in anderen Pleitefällen – die Kredite nachgeschmissen hätten. Aber Kritik an der Allmacht des Finanzkapitals – davor schütze uns der Herr! CHRISTIAN SEMLER
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