: „Schwache Regionen nicht nur im Osten“
Wolfgang Tiefensee (SPD), einziger Ostdeutscher in der Hartz-Kommission, will kein Extrakonzept für neue Länder. Pläne auch so „maßgeschneidert“
Interview SUSANNE AMANN
taz: Herr Tiefensee, Herr Hartz sagte am Dienstag, seine Kommission sei eine Gestaltungs- und nicht eine Kürzungskommission. Ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe endgültig vom Tisch?
Wolfgang Tiefensee: Im Gegenteil. Die Kommission will die Arbeitslosenhilfe und das Arbeitslosengeld zusammenlegen und auch die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger hineinnehmen. Damit wird erstmals in Deutschland eine klare Trennung zwischen erwerbsfähigen Arbeitslosen und Nichterwerbsfähigen stattfinden.
Ein Zusatzkonzept für Ostdeutschland soll es nicht geben. Wollen Sie die 1,4 Millionen Arbeitslosen der neuen Länder alle in den Westen vermitteln?
Nein. Denn der Osten hat von Anfang an in der Kommission eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Die strukturschwachen Gebiete in Ostdeutschland, wo die Schere zwischen offenen Stellen und Nachfrage auseinander klafft, waren natürlich Schwerpunkt unserer Diskussionen. Aber solche Gebiete gibt es auch im Westen. Dafür haben wir eine Reihe von wichtigen, maßgeschneiderten Vorschlägen.
Wachstumsregionen wie Leipzig oder Dresden sollen mit Infrastrukturmaßnahmen gefördert werden. Heißt das, andere schwache Regionen werden aufgegeben?
Die Kommission wird sich für die Stärkung der sogenannten Cluster, der Wachstumsregionen, aussprechen. Weil das – auch nach Ansicht von Wirtschaftsexperten – der einzige Weg ist, so große strukturschwache Regionen zu entwickeln. Das Beispiel BMW in Leipzig zeigt jetzt schon, dass Infrastrukturinvestitionen in Wachstumskernen direkte Ausstrahlung auf die Umlandregionen haben.
Werden die Menschen in Ostdeutschland den Hartz-Plänen überhaupt noch trauen?
Ja. Wenn wir sie nicht schon vorzeitig zerreden. Deshalb sehe ich es sehr kritisch, wenn sich ostdeutsche Vertreter aller Parteien ohne genaue Kenntnis der Pläne schon jetzt negativ äußern.
Die Union setzt in ihrem Gegenkonzept auf Existenzgründungen, Mittelstandsförderung und Deregulierung.
Das sind pure Selbstverständlichkeiten, die auch einen breiten Raum in der Hartz-Kommission finden. Das Entscheidende ist, wie wir das finanzieren wollen. Und da unterscheidet sich der Vorschlag der Union von unserem fundamental: Die Hartz-Vorschläge schaffen finanziellen Spielraum, wenn sie umgesetzt werden. Dieses Geld wollen wir einsetzen. Stoiber und Späth wollen das aus der Portokasse bzw. mit EU-Geldern bezahlen, die schwer umzulenken sind. Die Gefahr besteht dann, dass wir ostdeutschen Mittelständlern eine Realität vorgaukeln, die nicht umsetzbar ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen