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PÄDOPHILE PRIESTER SIND EIN PROBLEM – NUR NICHT FÜR DEN VATIKANFalsche Sittenstrenge ist gefährlich

Mal wieder ein Pädophilenskandal in der katholischen Kirche: Diesmal sind die Deutschen an der Reihe. Noch vor ein paar Wochen hatte Kardinal Lehmann Gott und der Welt versichert, Deutschland sei nicht die USA. Die Dimensionen des Phänomens seien nicht vergleichbar, der Wille der Bischöfe zu entschlossener Reaktion bei Missbrauch sei dagegen viel ausgeprägter.

Heute wissen wir es besser. In Deutschland herrschen die gleichen Missstände wie in den USA, auch hier ist die katholische eine wahre Weltkirche. Versetzen, vertuschen, vertagen – im Umgang mit ihren „gefallenen Brüdern“ handelt die Kirche nach dem immer gleichen Schema. Und der Vatikan hüllt sich in tiefes Schweigen. Der Kurie scheint der Übergriff auf Minderjährige erst dann problematisch zu sein, wenn – wie in den USA – Millionenklagen der Kirche richtig wehtun. Oder meint der Vatikan, mit den Erklärungen zum US-Skandal sei alles gesagt? Damals im April hatte es harte Worte gehagelt, doch das war’s auch schon. Keine klaren Anweisungen an die Diözesen, erst recht keine Debatte über die Ursachen. Wissenschaftliche Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie wollten die Bischöfe nicht akzeptieren – Ende der Diskussion. An Aufklärung sind sie nicht sonderlich interessiert. Ganz wie Kardinal Lehmann hielten die US-Kollegen das Problemchen für sehr eng begrenzt.

Die Diskussion müsste aber endlich beginnen, und zwar dort, wo es wehtut – bei dem plausiblen Zusammenhang zwischen Leibfeindlichkeit und den traurigen Formen, in denen so mancher Priester seinem Leib Entspannung verschafft. Mehr noch: Solange der Kirche zu Sex bloß Tabus und Verbote einfallen, ist sie eben auch der ideale Ort für Menschen, die den entspannten Umgang mit ihrer Sexualität nicht kennen. Die lieber im Verborgenen unreife, verklemmte Formen der Sexualität leben und die dank ihrer Stellung auch noch die Macht dazu haben. Lösen lässt sich dieses Problem nicht mit der ollen Kardinalsbotschaft „Sauber bleiben!“ Im Gegenteil: Die sittenstrenge Botschaft selbst ist das Problem. MICHAEL BRAUN

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