: Blick auf die Zwischenwelten
Weltkongress der Architekten: Stadtplaner betrachten Zuwanderer nicht als handelnde Subjekte – doch die Immigranten verhindern, dass Quartiere und Städte verelenden
Wenn ab heute tausende Fachleute aus dem In- und Ausland zum Weltarchitektenkongress nach Berlin kommen, werden die deutschen Architekten und Stadtplaner nicht nur über die Rolle der Baukultur in anderen Ländern staunen, sondern auch über den internationalen Stellenwert eines Themas, das hierzulande kaum Beachtung findet: die Bedeutung der Migration für die Stadtplanung.
Fast 20 Prozent der Bevölkerung in den deutschen Städten ist inzwischen nichtdeutscher Herkunft. Ohne Zuwanderung von Qualifizierten und weniger Qualifizierten werden die Ballungsräume weiter schrumpfen, wie es die „sterbenden Städte“ Ostdeutschlands seit Jahren zeigen. Dann kommt eine Spirale in Gang: Die Steuereinnahmen der Kommunen sinken, die Perspektiven werden schlechter, und die Abwanderung geht weiter. Doch in der Stadtplanung kommen die Einwanderer trotz ihrer wachsenden Bedeutung für die Städte nicht als handelnde Subjekte vor, sondern allenfalls als Objekte sozialer Fürsorge.
Ein Berliner Beispiel mag dies veranschaulichen: Der Alexanderplatz gilt vielen Stadtplanern und Architekten seit Jahren als städtebauliche Wüste, die es zu urbanisieren gelte. Dabei haben sich viele – vor allem ausländische – Jugendliche diese Wüste erobert, skaten dort und spielen Streetball. Behörden finanzierten Sportanlagen, Streetworker sorgen für die Organisation. Doch in den Umbauplänen zum größter Einzelhandelsstandort der Stadt mit einer Verkaufsfläche, die dem Siebenfachen des Potsdamer Platzes entspricht, haben diese Jugendlichen keinen Platz – weden Sportanlagen noch Ausgleichsflächen sind vorgesehen. Und es waren nicht Stadtplaner und Architekten, die auf diesen Missstand aufmerksam gemacht haben, sondern die Ausländerbeauftragte. Kein gutes Beispiel für den Umgang mit der „Ressource“ Einwanderung.
Andere Länder sind da weiter. In Großbritannien, Frankreich und den USA ist es nicht nur in der Migrationsdebatte, sondern auch in der Stadtplanung längst üblich, von zwei gleichberechtigten Blickwinkeln auszugehen: dem der Einwanderer und dem der Mehrheitsgesellschaft. Das Interesse gilt hier einem third place, einem Sozialraum, den beide Gruppen gleichermaßen mit Nutzungsansprüchen und kulturellen Praktiken ausformulieren können. Nicht Integration oder Urbanität ist dabei das Ziel, sondern ein Dialog der Kulturen um die Entwicklung städtischer Räume, der es am Ende allen ermöglicht, sich mit „ihrer“ Stadt zu identifizieren.
Dazu bedarf es freilich zweier Voraussetzungen. Zum Ersten braucht Stadtentwicklung die Fähigkeit, die Perspektiven zu wechseln und die Stadt auch einmal mit den Augen des Anderen zu sehen. Zum Zweiten muss sie das „Hybride“ anerkennen, die städtischen Zwischenwelten, die zum Bestandtteil künftiger städtischer Identitäten wird. Würde man die Stadt nicht nur von ihren Zentren, sondern auch von ihren räumlichen, ethnischen und sozialen Peripherien her betrachten, läge eine neue planerische Agenda auf der Hand.
Beispiel Zwischennutzung: Viele brach gefallene gewerblichen Areale könnten jenseits von Abriss oder hochwertiger Umnutzung für einen kürzeren oder längeren Zeitraum als Märkte genutzt werden. Einem städtisches „Facility Management Zwischennutzung“ obläge es, Nutzeransprüche und Angebote zu koordinieren, wie es auch bei der Umnutzung von denkmalgeschützten Gebäuden möglich ist.
Beispiel ethnische Ökonomie: Sie sollte endlich als Bestandteil der städtischen Gesellschaft anerkannt werden, statt immer wieder in den Bereich der Schattenwirtschaft verwiesen zu werden. Doch ohne ethnische Ökonomien, auch ohne Schattenwirtschaft, gibt es keine hochwertige Dienstleistungsökonomie. Dies bedeutet aber auch, der Migrantenwirtschaft neue Räume zu öffnen, statt sie polizeilich und ordnungsrechtlich zu behindern, wie es vor allem mit Hilfe des Ladenschlussgesetzes geschieht.
Beispiel Mobilität: Migranten sind wie viele andere sozial Schwache auch auf billigen öffentlichen Nahverkehr angewiesen, gerade dann, wenn sie mehrere Jobs an mehreren Orten haben. Und Beispiel Wohnungspolitik: Einen tatsächlich entspannten Wohnungsmarkt gibt es nur für mittleren bis teuren Wohnraum. Mehr als bisher muss deshalb auf den Erhalt preiswerter Bestände Wert gelegt werden, auch und gerade im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung. Das betrifft vor allem Ostdeutschland. Vorbildlich ist hier Görlitz, wo anders als in Schwedt oder Hoyerswerda nicht großflächig abgerissen wird. Stattdessen gilt der EU-Beitritt Polens als wegweisend für die Zukunft der Stadt und den Abbau des Leerstandes.
Gerade weil es oft die städtischen Ränder sind, wo sich alte und neue Immigrantengruppen konzentrieren – so leben die meisten Russlanddeutschen in den Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus –, wirkt eine Stadtplanung ausgrenzend, die die Stadt lediglich von innen nach außen entwickelt. Vielmehr müssen die Peripherien, statt ständig als „nicht urban“ abgetan zu werden, weiterentwickelt werden. Nachhaltigkeit als Prinzip darf nicht nur für die Innenentwicklung der Städte gelten, sondern auch für neue Zentren und Identifikationsangebote an der Peripherie.
Solche Beispiele weisen zugleich darauf hin, dass Einwanderungspolitik und Stadtplanung Querschnittsaufgaben sind. Doch fachübergreifende „Stadtentwicklungspläne“, wie es sie zum Thema Wirtschaft, Verkehr oder Wohnen gibt, sucht man in Sachen Migration vergeblich. Von den über 250 Quartieren in 184 Städten, die der Bundesbauminister in sein Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen hat, ist die Mehrzahl identisch mit den jeweiligen Einwanderungsquartieren in diesen Städten. Das Programm verzichtet allerdings darauf, mit den Bewohnern zusammen ihre Viertel zu entwickeln – stattdessen macht es die Quartiere zum Tummelplatz für Sozialarbeiter.
Daher ist es wohl auch kein Zufall, dass die Auswahl der 16 Berliner Gebiete im Programm „Soziale Stadt“ nahezu deckungsgleich ist mit der Ausweisung von „gefährlichen Orten“ durch die Polizei. „Stadtplanung als Reparaturbetrieb“, meint dazu die Berliner Planerin und Architektin Marlene Zlonicki, „ist keine Planung, sondern eine Bankrotterklärung“.
Doch es gibt auch Beispiele, die hoffen lassen. In Duisburg-Marxloh, einem für das Ruhrgebiet typischen Einwanderungsquartier mit enormen sozialen Problemen, waren es nicht deutsche, sondern türkische Kleinunternehmer, die ein Quartierskonzept entwickelt haben. Ein Angebot der Industrie- und Handelskammer zur Mitarbeit haben sie zuvor abgelehnt und sich stattdessen für eine Selbstorganisierung entschieden. Mit Erfolg. Der Wegzug der deutschen wie auch der türkischen Bewohner aus dem Gebiet konnte inzwischen gestoppt werden. Marxloh ist offenbar wieder ein Ort, mit dem man sich identifizieren kann. UWE RADA
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