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Den Biobauern bleibt der Marktverlust

Die Aufarbeitung des gerade überstandenen Nitrofen-Agrarskandals läuft an. Bauern erhalten erste Zahlungen von der Versicherung. Supermärkte haben Bioeier alllerdings immer noch weitgehend aus den Regalen verbannt

HANNOVER taz ■ Bei der alltäglichen Sorge um gesunde Nahrungsmittel hat das Geschlechtshormon MPA längst gegen Nitrofen das Rennen gemacht. Für die Biobauern, deren Höfe gesperrt wurden oder die ihre Vertriebswege verloren haben, ist der Nitrofen-Skandal um das verbotene Pflanzenschutzmittel allerdings noch nicht gegessen. Zwar erhalten jetzt 28 größtenteils in Niedersachsen liegende Biohöfe von der Versicherung des Futtermittelherstellers GS agri erste Entschädigungszahlungen. Und von den 59 allein in Niedersachsen gesperrten Biobetrieben dürfen bis auf 3 alle wieder Lebensmittel produzieren. Der normale Lebenmitteleinzelhandel, den die betroffenen Biobauern vorwiegend beliefert hatten, muss allerdings als Abnehmer erst wieder gewonnen werden.

Die ersten Schadenersatzzahlungen an eine Interessengemeinschaft von 28 Biobauern in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hat die westfälisch-lippische Landwirtschaftskammer in Münster erstritten. Fünf unabhängige vereidigte Sachverständige hätten die auf den Höfen entstandenen Schäden ermittelt, wozu etwa die Kosten für Tötung und Entsorgung von Tieren, für Futtermittel, für Reinigung von Betrieben und direkt durch die Sperrung verursachte Einnahmeausfälle gehören würden.

Die R + V-Versicherung des Raiffeisenverbundes sei dem Grunde nach bereit, für die von GS agri verursachten Schäden aufzukommen, so der Rechtsanwalt der Bauern. Für alle 28 Betriebe werde sich die Gesamtschadenssumme am Ende zwischen 1 und 2 Millionen Euro bewegen, sagte der Anwalt.

Nach deutschen Recht muss die R + V-Versicherung bei den GS-agri-Kunden für so genannte reine Marktschäden, die auf verändertes Verbraucherverhalten und den Verlust von Vertriebswegen zurückgehen, allerdings nicht aufkommen. Dem Ökoverband Naturland, dem die meisten der betroffenen Biobauern angehören, bereiten allerdings gerade diese Marktschäden Kopfzerbrechen. Nach Angaben von Naturland-Geschäftsführer Gerald Herrmann sind vor dem Nitrofen-Skandal ein Dutzend große oder regionale Ketten mit Bioeiern beliefert worden. Bislang habe lediglich eine regionale Kette in Hessen die biologisch erzeugten Eier wieder ins Programm genommen, sagt Herrmann. Besonders von dem Skandal betroffen sei dadurch ein halbes Dutzend großer Bioeier-Erzeuger, die von GS agri überhaupt kein verseuchtes Futter erhalten hätten. Diese Betriebe hätten keinerlei Anspruch auf Schadenersatz, hätten aber ihre Kunden verloren.

Auch bei den Betrieben des Ökoringes Bioland geht es vor allem jenen fünf großen Eier-Erzeugern schlecht, die unter der Marke Wiesengold den normalen Lebensmitteleinzelhandel beliefert hatten. Sie sind teilweise mit der GS agri personell verflochten. Bioland hat im Zuge des Nitrofen-Skandals einen Vertrag, der sozusagen eine Rundumbetreuung der Bauern durch Wiesengold bis hin zur Futterlieferung vorsah, gekündigt und sucht nun ebenfalls nach neuen Vetriebswegen für seine großen Eierproduzenten.

Der Nitrofen-Skandal kostete bislang in Niedersachsen rund 120.000 Tieren, die mit dem verbotenen Herbizid belastet waren, das Leben. Allein 76.000 Legehennen mussten getötet und entsorgt werden. Ein Betrieb hat nach Angaben von Bioland seine Hennen durch einen vorgezogenen Wechsel des Federkleids wieder Nitrofen-frei bekommen. Indem die Beleuchtung im Stall kurze Tage und Winter signalisierte, wurden eine künstliche Mauser erzeugt und so die Fettreserven der Tiere abgebaut.

Die drei Betreibe, die immer noch in Niedersachsen gesperrt sind, halten zusammen knapp 8.000 Tiere, darunter 7.000 Legehennen. Bei diesen Ökolandwirten gehe es nicht um ein wirtschaftliches, sondern ein ethisches Problem, sagte der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Hannover, Hanns-Dieter Rosinke. Mancher Bauer weigere sich einfach, seine Tiere töten zu lassen. JÜRGEN VOGES

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