: Der Sommer des Chamäleons
Ab heute weltexklusiv in der taz: Der Mittwochsroman. Über den heißesten Fall des unglaublich guten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Teil 1
„Der heißeste Sommer seit dem Paläolithikum (ältere Steinzeit)“ – diese Schlagzeile eines Boulevardblattes las ich, als ich mir bei dem Kiosk vor meiner Haustür meine tägliche Dosis Zigaretten kaufte. Drei Schachteln John Player Special. Eddie, dem fetten Kioskbesitzer, rann der Schweiß in Strömen über das aufgedunsene Gesicht und tropfte von seinem Vierfachkinn auf seine behaarte Wampe. Er hatte sich bis auf seine Bermudashorts ausgezogen, und das war kein schöner Anblick. „Scheiße. Hitze mache mich kaputt. Ist als bin in Hölle gelandet ich zu früh. Wetter ist pervers wie Mann, der Hoden sich pierct“, sagte er mit seinem breiten rumänischen Akzent. Ich nickte abwesend und schob das Rauchwerk in die geräumigen Taschen meines Kamelhaarmantels.
Der Rumäne hat recht, dachte ich, als ich mir drei Blocks weiter eine Players ansteckte. Die Hitze machte den Menschen zu schaffen. Es war, als ob das Wetter die nur notdürftig hinter der Fassade des Anstands versteckten dunklen Impulse ans Tageslicht zerrte. Brave Hausmänner prügelten sich auf offener Straße mit Polizisten. Prüde Rechtsanwaltsgehilfinnen sprangen nackt und enthemmt juchzend in die städtischen Brunnen. Und die Mahner und Warner aus dem Lager der Ökoromantiker sahen die Apokalypse heraufdräuen und schlichen mit erhobenen Zeigefingern durch die Gassen, eingehüllt in Bettlaken mit dem Aufdruck „Wir haben‘s ja immer gesagt!“. So wunderte es mich auch nicht, als eine junge Frau, die torkelnd auf mich zugekommen war, direkt vor meinen Füßen zusammenbrach und japsend an meinen Hosenbeinen zerrte. „H ... h ... helfen ... sie ... mir“, stieß sie bebend hervor, „Rama ist ... w ... w .. weg!“ Mir war egal, wer oder was Rama war. Ich wusste: Ich hatte einen Fall. Ich half der granatenmäßig attraktiven jungen Lady auf die Beine und fragte sie, wie sie hieße. Sie hieß Claudia (Name geändert, Anm. d. Red.). Ihren Nachnamen verschweige ich aus Gründen des Datenschutzes.
„Rama ist mein Chamäleon. Ich habe ihn von einer Indienreise mitgebracht“, erklärte Ilse (Name nochmals geändert, Anm. d. Red.) mir später in ihrer vollklimatisierten Villa. Sie hatte sich wieder einigermaßen berappelt und ihre defekte Frisur repariert. Das Eis in unseren Sprudelgläsern schepperte, während wir auf ausladenden Sesseln saßen, die so breit wie Sofas waren, und in das nunmehr leere Terrarium starrten. Vielleicht waren es auch Sofas. „Er war mein ein und alles. Und nun ist er fort“, sagte Ilse matt, bevor die Bedeutung ihrer Worte zu ihr durchdrang und einen Weinkrampf auslöste, der nach drei Minuten in stumpfe Apathie und nach weiteren drei in Schüttelfrost überging. „Ich will hier keine Reden schwingen, Gnädigste“, sagte ich ruhig, während ich mit dem Zeigefinger bedächtig über den Rand meines Glases strich, „ich will Ihnen nur das eine sagen: Sie haben verdammtes Glück im Unglück, dass sie mir über den Weg getorkelt sind. Ich bin der beste Privatdetektiv dieser Stadt, vielleicht sogar der beste der Milchstraße. Meine Aufklärungsquote liegt bei 120 Prozent. Das heißt: Ich finde mehr heraus als nötig ist. Die Polizei hat genug mit randalierenden Hausmännern zu tun. Überlassen Sie mir den Fall, und Sie können Ihr Lieblingsreptil schon bald wieder an Ihre überaus voluminöse und wohlgeformte Brust drücken.“ – „Oh, das wäre wundervoll, Herr Player!“ rief Ilse mit hoffnungsschwangerer Stimme aus. „Nennen Sie mich John‘‘, sagte ich nonchalant. „Oh, das wäre wundervoll, John!“ – „Routine“, sagte ich beiläufig, während ich mir eine Kippe anzündete.
Wir kamen ins Geschäft. Geld spielte keine Rolle, aber ich wollte die Zwangslage der Chamäleonilse nicht ausnutzen und blieb bescheiden. Von den 5.000 Euro Vorschuss, die sie mir bar in die Hand gedrückt hatte, kaufte ich mir einen kleinen batteriebetriebenen Ventilator, die neue CD von David Bowie und einen psychologischen Ratgeber mit dem Titel „Wie Chamäleons denken. Ein psychologischer Ratgeber“. Das restliche Geld gab ich für Zigaretten aus. Die Suche konnte beginnen.
Wie alles weiter geht, erfahren Sie in der nächsten Folge des großen „taz-bremen-sommer-romans am Mittwoch“. In einer Woche am Kiosk Ihres Vertrauens
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