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Grinsekatzes Olympiatraum

Alexander Popow bleibt auch bei der Schwimm-EM über 100 m Kraul weit hinter dem Holländer van den Hoogenband, Mutmaßungen über ein Karriereende weist der 30-jährige Russe aber von sich

aus Berlin MATTI LIESKE

„Es ist immer ein Vergnügen, gegen Pieter van den Hoogenband zu verlieren.“ Man muss schon weit geschwommen sein im Leben, um solch einen Satz von sich zu geben. Alexander Popow ist weit geschwommen. Fast ein Jahrzehnt lang hat er die kurzen Kraulstrecken beherrscht, acht Jahre lang war er ungeschlagen über 100 m. Er häufte Olympiasiege, Weltmeister-, Europameistertitel auf sein Haupt, brachte es zum Athletenvertreter im IOC und wurde einer der reichsten Sportler Russlands hinter den Eishockey- und Tennisprofis. Einen Namen machte er sich auch als emsiger Wodkatrinker und Raucher. Nach dem Olympiasieg 1992 kehrte er seinem Heimatland den Rücken und ließ sich im schönen Australien nieder, dem Paradies aller Schwimmer, wo man die Sportler „wenigstens schützt“, wie der Italiener Rosolino kürzlich wusste, nachdem man ihn in seinem Land des Dopings bezichtigte.

Dass auch bei den Aussies der Schutz nicht grenzenlos ist, musste Popows langjähriger Trainer Gennadi Turetski erfahren. Der wurde letzte Woche wegen eines Handgemenges in einem Flugzeug vom Nationalen Sportinstitut in Canberra entlassen. Im letzten Jahr war Turetski ins Zwielicht geraten, als man in einem Safe, der ihm gestohlen worden war, Dopingmittel fand. Er wurde suspendiert, am Ende jedoch rehabilitiert.

Einen Alexander Popow ficht all das nicht an, obwohl er selbst seit langem härteste Strafen für Dopingsünder fordert. Er werde selbstverständlich weiter mit Turetski arbeiten, erklärte er bei den Europameisterschaften in Berlin, und wenn das in Canberra nicht mehr möglich sei – was soll’s: „Ich denke, ich kann in jeder Stadt der Welt wohnen und trainieren.“

Seine Vormachtstellung hat der 30-jährige Zweimetermann aus Swerdlowsk seit 1999 an den sechs Jahre jüngeren van den Hoogenband abgeben müssen. Aber auch das scheint ihn nicht nachhaltig zu stören. Finanziell gehe es ihm ausgezeichnet, verkündet er, und die bessere Show liefert er ohnehin. Während der spröde Niederländer die Pressekonferenz, zu der er nach seinem Sieg über 100 m eigentlich verpflichtet ist, einfach ausfallen lässt, nutzen der drittplatzierte Kroate Duje Draganja, der im kalifornischen Berkeley studiert, und vor allem Popow die Bühne genüsslich für ihre Performance.

Es sei ihm eine hohe Ehre, sagt Draganja, hier neben einem der besten Schwimmer der Welt zu sitzen, „nicht nur heute, sondern in den letzten zehn Jahren“. Popow sitzt daneben wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ und beteuert, dass er keinesfalls an ein Ende seiner Karriere denke. „Ich möchte nach Athen“, sagt er in Hinblick auf Olympia 2004, auch wenn das noch ein bisschen weit weg sei. Im nächsten Jahr sei ja erst mal WM in Barcelona.

„Ich bin glücklich mit meinem Schwimmen“, erzählt er, die Zeiten, die er in Berlin bisher erzielte, hätten ihn überrascht, da er sein Training umgestellt habe. „Ich bin viel weniger geschwommen, nie mehr als zehn Kilometer am Tag, dafür haben wir technisch gearbeitet“, berichtet Popow, der ohnehin einer der besten Stilisten im Becken ist und nach eigenem Bekunden während des Rennens „im Geiste Lieder singt“. Dass die Reduzierung des Trainingsumfanges einen verstärkten Hang zur Bequemlichkeit bedeutet, bestreitet er: „Ich kann mir das leisten, denn ich profitiere dabei von der harten Arbeit früherer Tage.“

Auch für andere Innovationen scheint der Russe zunehmend aufgeschlossen. Bei Olympia in Sydney hatte er sich noch ausgiebig über den Trubel um Haifischanzüge und Schwimmhosen lustig gemacht und erklärt, er brauche so was nicht. In Berlin trat er selbst in einem der hautengen Beinkleider an. „Man macht eben Erfahrungen“, sagt er mit schelmischem Blick und fügt angesichts der für ihn „sehr erfreulichen“ Zeit von 48,70 Sekunden, die er im Semifinale geschwommen war, hinzu: „Scheint ja zu funktionieren.“ Was auch für seine Trainingsumstellung gilt. „Es klappt offenbar. Ich hoffe, dass es sich im nächsten Jahr auszahlt“, blickt er voraus.

Das heißt jedoch nicht, dass er damit rechnet, Pieter van den Hoogenband, den einzigen Schwimmer, der die 100 m unter 48 Sekunden krault, und das regelmäßig, auf dieser Strecke schlagen zu können. Am Mittwoch blieb der Niederländer in 47,86 Sekunden nur zwei Hundertstel über seinem Weltrekord und sagte direkt danach nicht ohne Hochmut: „Es war kein perfektes Rennen. Ich wundere mich, dass die anderen nicht schneller waren.“ Das ging gegen Popow, der mangelndes Stehvermögen durchaus einräumte. „Die ersten 50 Meter waren gut, dann habe ich nur noch überlebt“, schilderte er sein Silberrennen und fügte hinzu: „Ich freue mich auf das nächste Mal.“

Das kommt schon am Sonntag, wenn Alexander Popow über 50 m erneut sein Glück gegen den holländischen Rivalen versucht. Sollte dem Russen die Überraschung gelingen, wird man einen Satz ganz gewiss nicht hören von Pieter van den Hoogenband, wenn er denn ausnahmsweise mal den Journalisten erscheint: „Es ist immer ein Vergnügen, gegen Alexander Popow zu verlieren.“

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