SÜDAMERIKA GERÄT INS TRUDELN – ES IST NICHT DIE STUNDE DER LINKEN: Rasanter Zivilisationsverlust
Erst Argentinien, jetzt Uruguay: Der Staat ist pleite, die Banken sind pleite, das Kapital verschwindet ins Ausland, der IWF macht Druck, die eigene Regierung verstrickt sich in Widersprüche – und die Mehrheit der Menschen verarmt. Szenarien, wie sie linke Gewerkschaften und die nach den revolutionären Flügelkämpfen und Schlächtereien der lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 70er-Jahre übrig gebliebenen Linken immer prophezeit haben. Doch es ist nicht ihre Stunde.
Zu den Plünderungen von Supermärkten kommt es zwar nicht unbedingt ohne jede Organisation, doch es sind nicht die traditionellen Revolutionäre, die dahinter stehen. Einige der ersten Aktionen der uruguayischen Stadtguerilla der Tupamaros in den 70ern war die Entführung von Lebensmittel-Lkws in die Armenviertel, wo die Menschen dann zur Selbstbedienung schreiten durften und das auch ausgiebig taten. Heute sitzen einige der noch aktiven Tupamaro-Gründer im uruguayischen Parlament – ein Stabilisierungsfaktor.
Uruguays Regierung unter dem Präsidenten Jorge Battle wird die Situation nicht lange überleben. Doch sein Sturz wird wenig nutzen. Das liegt vor allem daran, dass diese Volksbewegungen, die sich mit Plünderungen und Blockadeaktionen bemerkbar machen, keine Struktur haben, die es ermöglichen würde, weiter reichende Forderungen zu artikulieren oder gar Programme zu formulieren. Und wo es das vielleicht doch gibt, wie bei der Kandidatur des Kokabauern-Vertreters Evo Morales in Bolivien, schließt sich die alte Elite zusammen und verhindert jeden Zugang zur Macht. In Brasilien geben sich Finanzelite, Politklüngel und USA derzeit gemeinsam Mühe, einen Wahlsieg der linken Arbeiterpartei „Lula“ da Silvas im Herbst zu verhindern, und statt auf Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez reformierend einzuwirken, fördern die USA lieber die Umstürzler aus der alten Oligarchie, und Europa hält sich raus.
Der Westen muss umdenken, und zwar schnell. Lateinamerika verliert zurzeit in rasantem Tempo die zivilen Errungenschaften eines ganzen Jahrhunderts. BERND PICKERT
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