piwik no script img

Paddeln, bis die Blitze zucken

Mit zwei Kindern durch die Havelseen zu paddeln ist ein kühnes Vorhaben, wenn das Wetter nicht mitspielt und das Zelt zu klein ist. Ein Abenteuer mit einsamen Seen, Bootschieben durch den märkischen Sand und überfüllten Campingplätzen

„Das reicht. J. geht den Wagen holen, wir warten fünf Stunden im Café“

von SOPHIE BAUER

Es fing damit an, dass J. eine Idee hatte. „Lass uns doch mal was unternehmen“, murmelte er am Ufer der Müritz, wo uns gerade einige der wertvollen Sonnenstrahlen dieses Jahres das Hirn versengten. Ein Boot mieten, Kind und Kegel samt Zelt verstauen und dann ab durch die Havelseen, von denen uns schon die Nachbarn auf dem Campingplatz so vorgeschwärmt hatten. Ich war skeptisch, weil Frauen meist ahnen, was Männer längst noch nicht wissen: Ein solcher Ausflug würde keine Spazierfahrt werden, sondern eher eine Nervenprobe. Aber J. ließ nicht locker, und so kam es, wie es kommen musste. Die Kinder waren begeistert, und adieu, du schönes Nichtstun. In Röbel ein Indianerkanu gemietet, aufs Autodach gehievt, illegal die Abkürzung durch den Nationalpark genommen und angekommen. In Kratzeburg. Ein netter kleiner Strand dort und ein großer Parkplatz für all die Paddler, die wohl sonst in See stechen.

Wir sind ganz allein dort, die Sonne scheint, und eigentlich könnte man es mit einem Picknick am Ufer des idyllischen Käbelicksees gut sein lassen. Aber die Arbeit ruft: Das Boot runter vom Autodach hieven ist noch die leichteste Aktion. Gepäck verstauen und schauen, dass wir trotz Proviantkisten, Zeltstangen und Schlafsäcken auch noch Platz zum Sitzen finden, ist schon eine echte Herausforderung.

Schließlich sind wir alle im Boot, J. macht den Steuermann, ich spiele Kapitän am Bug, die Kinder in der Mitte. Der Weg führt mitten durch den See, mir ist ein bisschen unheimlich wegen des sich rasch entfernenden Ufers auf allen Seiten. Was ist, wenn wir kentern? Und als hätte ich es nicht schon im Blut gehabt, grollt in der Ferne ein leichter Donner. Böse dunkle Wolken ziehen auf, aber ich will ja nicht als Hasenfuß dastehen und so peitsche ich das Paddel durchs Wasser, als gelte es, die Olympiade zu gewinnen. Endlich am anderen Ende des Sees. Ein kleiner lauschiger Verbindungsbach mit Seerosen und lieblichem Froschquaken führt uns zum nächsten größeren Gewässer. Da hat sich das Herz wieder einigermaßen beruhigt, und das Donnergrollen wirkt spätestens an der Dorfkneipe von Granzin nicht mehr ganz so bedrohlich. Dort gibt es für jeden ein Eis, und dann weiter, bevor uns der Himmel auf den Kopf fällt. Die Kinder sind erstaunlich gut in Form. Miriam löffelt mit ihren zehn Jahren ordentlich mit, die dreijährige Rubi lässt verträumt ihren Eisstiel durchs Wasser fahren. Keine Beschwerden, das ist selten.

Und dann ist die Paddelei zu Ende. Zwischen Schulzen- und Pagelsee stehen eine Menge Bäume und Tonnen von märkischem Sand. Statt eines Verbindungsweges zu Wasser wartet eine Art Draisine auf die Paddeltouristen. Wir hieven das Boot auf den Gepäckträger und schieben die Last 250 Gleismeter durch den Wald. Es geht leichter als erwartet, und keine zehn Minuten später stehen wir wieder an einem Ufer. Diesmal ist Wind aufgekommen, und das Gewitter lässt sich nicht mehr ignorieren. Aber hier ein Zelt aufbauen, obwohl der Tag noch mindestens vier Paddelstunden zu bieten hat? Wir gehen eine Runde pinkeln, danach ist die Entscheidung klar. Mit Gegenwind paddeln wir über den Pagelsee, immer schön am Ufer entlang, damit uns das Kentern nicht gar so schrecklich erscheint.

Im Zotzensee schließlich schießt der erste Blitz über den Horizont. Wir hauen die Paddel in den See, bis wir klatschnass sind, aber bevor das Unwetter über uns steht, haben wir den Havelbach Richtung Jäthensee erreicht. Suchen Schutz unter einem überdimensionierten Regencape, das uns als Zeltersatz dient, und hoffen, dass bald wieder die Sonne scheint. So muss es Menschen auf der Flucht gehen, denke ich. Keine Ahnung, wo das nächste Dach über dem Kopf kommt, nasse Klamotten und die Füße im Morast.

Als sich der Donner verzieht, kommt das Gemecker. Die Kinder haben Hunger, frieren, und überhaupt fehlen langsam der Fernseher und das Telefon. Wir stopfen die Mäuler mit Tortillachips und sehnen uns nach einem Bier. Kurz vor Babke dann das ostdeutsche Wunder. Eine Fischzucht, die in erster Linie frittierte Currywürste und Pommes verkauft. Die Kinder sind zufrieden, Bier gibt’s auch, und so verderben sich alle den Magen. Aber Bewegung tut gut, und so geht es weiter.

„Die Kinder haben Hunger, frieren, und langsam fehlt der Fernseher“

Der Tag neigt sich dem Ende, als wir auf dem Campingplatz Hexenwäldchen anlanden. So menschenleer und idyllisch, wie die Seen vorher waren, so voll und stressig ist es hier. Rudelcampen vom Feinsten. Neben zighunderten Dauercampern tummeln sich vier Dutzend Paddler und teilen sich die schäbigen Klohäuschen. Hier erwischt uns das zweite Unwetter. Wir können gerade noch unter das Vordach einer außerhäusigen holländischen Wohnwagendynastie flüchten, als es wieder kracht und blitzt. Regen ergießt sich wie aus Eimern über den Platz, und als alles vorbei ist, grinst uns von dort, wo wir eigentlich gerade das Zelt aufbauen wollten, eine riesige knöcheltiefe Pfütze an.

Und so geht es weiter. Zelt aufbauen, Boot ausräumen, zu viert in einem Zweipersonenzelt (wir müssen Platz sparen) kein Auge zutun, morgens wieder alles klamm zusammenpacken und sich fragen, wie das ganze Gepäck vorher jemals ins Boot gepasst hat. Doch sobald wieder Wasser unter den Füßen ist, besänftigen sich die Gemüter, schauen wir gemeinsam, dass wir vorankommen, und staunen über die Einsamkeit der Seen mitten im Hochsommer. Auf dem Weg durch den Useriner See hätten wir gerne ein Picknick eingelegt am Ufer. Doch das ist nicht erlaubt. Jede noch so kleine Bucht ist verbarrikadiert. „Anlegen verboten!“, warnt die Nationalparkbehörde.

Doch jede Reise nimmt einmal ein Ende und unseres ist dieses: Nach dem circa zehnten Gewitter innerhalb von vier Tagen erwischt es uns kurz vor Mirow in der Schleuse Fleether Mühle. Ohne dass wir flüchten können, schießt sich der Regen auf uns ein. Wir sind innerhalb von Minuten klatschnass, zum xten Mal. Das reicht. J. geht den Wagen holen, wir warten die fünf Stunden, bis er wieder da ist, im Café. Die nächste Nacht verbringen wir in einem Hotel, sechs Sterne mit allem Pipapo. Zumindest in Gedanken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen