: Schön überflüssig
Vor zehn Jahren starb John Cage. Mit „Roaratorio“ und einem „Making-of“ würdigt der Deutschlandfunk den Experimentalmusiker (Sa, 20.05 Uhr)
von GABY HARTEL
„Geräusche“, sagt John Cage irgendwann in dieser Sendung, „Geräusche verfolgen uns bis in den Schlaf.“ Da bauen wir sie in unsere Träume ein. Sie sind der direkte Draht zum Unterbewusstsein, zur Fantasie und erschließen so eine oft verschüttete Wirklichkeit. Und schlagartig steht der zerbrechliche ältere Herr – hergezaubert von seiner Stimme mit den sanft gerollten „Rrrr“s – mitten im Wohnzimmer. Ein unprätentiöser Auftritt. Etwa so wie 1990, als er in einem New Yorker Hinterhof mit Freunden ein „Konzert“ gab, bei dem er fröhlich den Refrain brummelte: „Even blackbirds are extinct.“
Nun ist John Cage selbst seit zehn Jahren „extinct“: Er starb mit knapp 80 am 15. August 1992. Doch einer wie er verschwindet natürlich nie ganz. In der zeitgenössischen Musik begegnet man seinen Ideen, der „geräuschvollen Stille“ oder dem „strukturierenden Zufall“ etwa, auf Schritt und Tritt. Schön also, noch einmal das „Original“ im Deutschlandfunk über sich reden zu hören. Seine Konzepte habe er nicht wirklich selbst erfunden, sondern herausgefischt aus der Literatur um Pound, Eliot, Gertrude Stein und Joyce. Was dabei herauskam, war exakt beobachtetes, gesammeltes und diszipliniert komponiertes „Material“. Das, wie Beckett einmal schrieb, „über die Ränder der Sprache hinaus wirkte“. Wie überzeugend so etwas klingt, zeigt „Roaratorio“ (1979). Eine Komposition, die Cage als Umsetzung seiner lebenslangen Faszination für „Finnegan’s Wake“ betrachtet.
Das „Making of Roaratorio“ zum Einstieg in den Radioabend braucht man nicht, um Cage überhaupt zu verstehen. Eher, um das Ganze noch entspannter zu genießen. Man kommt dem Mann einfach näher, wenn er mit leiser, frischer Stimme Dinge sagt wie: „Mein Komponieren ist eigentlich überflüssig.“ Das ist weniger bescheiden als philosophisch: Immerhin hängt eine ganze Schule an Voltaires berühmtem Satz „Das Überflüssige – wichtige Sache!“
Diszipliniert hat Cage für „Roaratorio“ die Romanvorlage nach Beschreibungen von Geräuschen oder musikalischen Strukturen durchkämmt, um sie am Originalplatz aufzunehmen und mit seinem vielfältigem Sprechgesang ausgewählter Textpassagen in das zu übersetzen, was der Roman ist: ein vielstimmiges, flirrendes Abbild der Welt. Das Tollste aber: Schon in der ersten Hörminute umwogt uns dieses dicht-assoziative Meer von Klängen und macht alles Reden überflüssig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen