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Der Dreck kommt von alleene

Die sächsische Landeshauptstadt wurde von der Flutwelle überrollt. Ein Fünftel Dresdens ist ohne Telefon, Strom und Gas, die Elbbrücken sind gesperrt

aus Dresden, München und Berlin KATRIN FIEDLER, OLIVER HINZ, NICK REIMER

Das kleine Bächlein „Wilde Weißeritz“ gebärdete sich ausgesprochen wild. In wenigen Stunden war es um das 140fache angeschwollen und auf Dresden zugerollt. Das war am 31. Juli 1897: Der schwersten Wetterkatastrophe Sachsens fielen weite Teile der Friedrichstadt und Dutzende Menschen zum Opfer. Sachsens Königshaus beschloss darauf den Bau von zwei Talsperren. Um die Dresdner Friedrichstadt ein für alle Mal sicher zu machen, war die Weißeritz zudem umgeleitet worden.

„Solche Überschwemmung kann es nie wieder geben“, hieß es seitdem. Darum scherte sich die Weißeritz gestern keinen Deut. Wieder ist aus dem kleinen Bächlein ein reißender Strom geworden, der „Autos, Bäume und was sich sonst noch in den Weg stellt, einfach mitreißt“, wie der Augenzeuge Bernd Uhlig berichtet. Längst sind die Staumauern der Talsperren Malter und Klingenberg zu Wasserfällen geworden. Und dort, wo die Weißeritz von der Friedrichstadt weggeleitet wird, tobt sie mächtig gegen die Barriere. So mächtig, dass der Stadtteil gestern evakuiert wurde.

Doch nicht nur das Wasser der Weißeritz hat die Dresdner City in einen See verwandelt. Der Elbepegel, der im Sommer normalerweise bei zwei Metern liegt, stand am Mittag knapp unter sieben Meter. Ein Fünftel der Stadt ist ohne Telefon, Strom und Gas. Corynn Lange von den Stadtwerken befürchtet, dass „der Zustand Tage dauern kann“. Alle Elbbrücken sind gesperrt, der Verkehr kam zum Erliegen.

Wenigstens die Kinder haben gut Lachen: schulfrei bis auf weiteres. Ansonsten ist die Lage gespannt. Bis zum gestrigen Mittag riefen 12 der 23 sächsischen Landkreise Katastrophenalarm aus. In Dresden ertrank eine Frau, im Müglitztal wurde ein 71-jähriger Mann tot aus den Fluten geborgen. Im nahe gelegenen Schlottwitz rissen die Fluten drei Menschen mit, darunter ein Kind, sechs weitere werden vermisst. Im mittleren Erzgebirge gab es mehrere Verletzte.

Städte wie Meißen, Glauchau in Westsachsen oder Flöha in Mittelsachsen sind nur noch per Hubschrauber zu erreichen. Im Kreis Freiberg wurden mehrere Menschen vom Bundesgrenzschutz mit Hubschraubern gerettet. In Grimma hatten sich etwa 50 Menschen vor dem schnell steigenden Hochwasser der Freiberger Mulde auf die Orgelempore der Frauenkirche geflüchtet. Den Rettungskräften gelang es bis zum späten Nachmittag nicht, sie zu befreien.

In Zwickau stellte die Stadtverwaltung 50 ihrer Mitarbeiter zum Schleppen von Sandsäcken ab. Bei 4,25 Metern stand der Pegel der Mulde, normal ist im Sommer ein Meter. Die Innenstadt liegt tiefer als das Flussbett. Zwar hatte die nahe gelegene Talsperre Eibenstock acht Millionen Kubikmeter Wasser zurückgehalten. Dann aber lief die 65 Meter hohe Staumauer über. Zwei Stadtteile mussten evakuiert werden. Auch dort, wo kein Hochwasser zu sehen ist, spüren es die Sachsen. Weil Teile der Autobahnen Chemnitz–Hof und Dresden–Erfurt gesperrt waren, kam es zu bis zu 30 Kilometer langen Staus. Bahnsprecherin Kerstin Eckstein sagte: „Der Schienenverkehr musste teilweise eingestellt werden.“

In Bayern verlagerte sich der Schwerpunkt des Hochwassers nach Niederbayern. Die Passauer Altstadt versank im schlimmsten Hochwasser seit 48 Jahren. Hunderte Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Die Donau schwoll am Mittag auf 10,80 Meter an – doppelt so hoch wie normal. Nur 1954 war der Pegel mit 12,20 Metern noch höher.

Vom Deichgrafen lernen heißt siegen lernen, sagten sich gestern Politiker aller Couleur. Um Statements nach dem Vorbild des einstigen Oderflut-Helden und heutigen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck abzugeben, flogen Bundesinnenminister Otto Schily und CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber nach Passau. Von dort flog Schily weiter ins sächsische Pirna. Bei welchem Pegel die Elbe stand, konnte ihm niemand sagen: Die Flut hatte das Messgerät beschädigt. Fest stand lediglich: Tendenz steigend. Die Flutwelle aus Böhmen kommt erst noch.

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