: Venezuelas Präsident gerät in Bedrängnis
Nach dem Freispruch von vier Generälen sieht sich die Opposition gestärkt. Chávez droht ein Verfahren wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
CARACAS taz ■ Das Tränengas hängt noch in der Luft. Jugendliche Anhänger des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez halten Stadtbusse auf und malen auf die Windschutzscheiben: „Doch, es war ein Putsch!“ Polizisten in Kampfmontur halten sich in Alarmbereitschaft. Wieder einmal haben sich militante Chavistas in der Nähe des Präsidentenpalastes versammelt, um ihrem Frust Luft zu machen.
Am Mittwochabend hatte der Oberste Gerichtshof mit 11 zu 8 Stimmen entschieden, kein Verfahren gegen vier hohe Generäle zu eröffnen, die am 11. April 2002 am Putschversuch gegen Chávez beteiligt waren. Daraufhin wollten die aufgebrachten Fans des Präsidenten das Gerichtsgebäude stürmen. Bei einer anschließenden einstündigen Straßenschlacht mit der Nationalgarde warfen sie Steine und Flaschen, mindestens fünf Menschen wurden durch Schüsse verletzt.
Die höchst politische Entscheidung belegt, dass sich die Kräfteverhältnisse im Obersten Gerichtshof endgültig zu Gunsten der Opposition verschoben haben. Sicher, es habe einen Putsch gegeben, sagte ein Anwalt der Generäle: bei der triumphalen Rückkehr von Chávez am 13. April. Zuvor sei der Präsident ja „freiwillig“ zurückgetreten, wie es der damalige Armeechef Lucas Rincón verkündet hatte.
Jetzt möchten die Chávez-Gegner den Spieß umdrehen. Im September soll der Oberste Gerichtshof entscheiden, ob er ihre Klage gegen den Präsidenten wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zulässt. Demnach sollen Chávez und seine engsten Mitarbeiter vorher vom Einsatz von Scharfschützen gewusst haben, die am 11. April in die Demonstration indestens 15 Toten und 100 Verletzten hätten sich auch zwei Kubaner und sechs kolumbianische Guerilleros beteiligt, behauptet Exgeneral Hernán Rojas. Dies habe er von Informanten erfahren, die die „Bolivarianischen Zirkel“ unterwandert hatten, die umstrittenen Basisgruppen des Präsidenten.
Im Parlament zirkulieren konträre Versionen der Ereignisse vom April. Durch einen „grausamen zivil-militärischen Staatsstreich“ sei „für 48 Stunden ein autokratisches Regime“ eingesetzt worden, das „alle Formen eines echten Totalitarismus annahm,“ heißt es in einem Entwurf des Regierungslagers für den Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Eine Einigung ist ausgeschlossen, völlig offen ist auch, ob jemals eine unabhängige „Wahrheitskommission“ eingesetzt werden wird, wie dies Jimmy Carter und die Organisation Amerikanischer Staaten fordern.
Parlamentarier von Chávez’ „Bewegung der Fünften Republik“ fordern ein Vorgehen gegen die Obersten Richter. Mit Spannung wird nun die Reaktion des Präsidenten erwartet, der noch am Sonntag gedroht hatte, die Richter entschieden auch über ihre eigene Zukunft. Generalstaatsanwalt Isaías Rodríguez eröffnete derweil eine neue Front: Wegen „ziviler Rebellion“ erließ er Haftbefehle gegen vier weitere mutmaßliche Strippenzieher des kurzlebigen Putsches.
GERHARD DILGER
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