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Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich übersinnlichen Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Siebter Teil

Flieg, kleine Möwe, flieg nach Sylt und spioniere die Bande aus

Was bisher geschah: Ilses Chamäleon Rama absent +++ John Player mit Wiederbeschaffung beauftragt +++ bisherige Ermittlungsergebnisse verweisen auf ein Sylter Syndikat +++ Player hat beide Beine in Gips +++ Ilse will mit nach Sylt

Ich befand mich in einer gänzlich neuen Situation. Zum ersten Mal in meiner bisherigen Laufbahn als Privatschnüffler würde mich meine Auftraggeberin begleiten und bei meinen Ermittlungen unterstützen. Ob das gutgehen würde, musste die Zukunft erweisen. Ich war in dieser Hinsicht zumindest skeptisch, denn ich hielt persönliche Sympathie – und solche hegte ich in nicht geringem Maße für Ilse – in professionellen Zusammenhängen für eine Quelle unabsehbarer Gefahren. Vielleicht sprach aus diesen Bedenken aber auch nur meine Beziehungs-Paranoia.

Rollstühle gab es im Krankenhaus zuhauf. Wir klemmten uns den nächstbesten und ließen dann meinen abgebrochenen Zahn bei einem Hinterhofklempner richten, der gegen bar arbeitete und keine lästigen Fragen stellte. Ilse sagte, dass wir auch ihren Lamborghini nehmen und über den Hindenburgdamm auf die Insel fahren könnten, aber ich hielt eine Schiffsreise aufgrund meiner temporären Behinderung für angebrachter.

Während Ilse am Hafen die Fährtickets besorgte, vergegenwärtigte ich mir noch einmal, im Rollstuhl sitzend, unsere Situation. Die Vergegenwärtigung kulminierte in drei Worten: keinen blassen Schimmer. Irgendwo auf Sylt befand sich – vermutlich – die Festung eines Verbrechersyndikats, das sich auf Chamäleonraub spezialisiert hatte. Wir wussten nicht, wie diese Festung aussah oder wie sie gesichert war. Wir wussten nichts über die Absichten dieser Leute, nichts über ihre Ausbildung oder ihre Ausrüstung. Und wir wussten nichts über Karl-Heinz Meierdierks, den Chef der ganzen Blase, der sich sinnigerweise „Das Chamäleon“ nannte.

Vielleicht war er nur ein Bekloppter, dessen Chamäleon man überfahren hatte, als er noch ein Kind war und der sich auf diese Weise an der Welt rächen wollte. Vielleicht war er aber auch ein Bekloppter, der mithilfe einer Armee von genetisch manipulierten Chamäleons die Weltherrschaft anstrebte. Vielleicht auch beides. Wir hatten keinen blassen Schimmer.

Seufzend steckte ich mir eine Kippe an und beobachtete die Möwe, die über meinem Kopf ihre Runden zog. Flieg, kleine Möwe, dachte ich, flieg nach Sylt und spioniere die Bande aus, und dann komm zurück und erzähle mir von den Ergebnissen deiner verdeckten Ermittlung! Doch Möwen kommunizieren mit Menschen weder telepathisch noch verbal, weshalb es mit diesem Plan Essig war. Mach die Biege, du nichtsnutziger gefiederter Schweinepriester, dachte ich. Daraufhin schiss mir die Möwe die Zigarette aus. Hatte ich ihre telepathischen Fähigkeiten doch unterschätzt?

Ilse kam mit den Fährtickets und zwei Tüten Capri Sonne zurück. Für mich hatte sie Kirsche mitgebracht, meinen absoluten Topfavoriten im Capri Sonne-Sortiment. Erstaunlicherweise hatte ich vor einer Viertelstunde angesichts der drückenden Mittagshitze sehnsüchtig an eben dieses köstliche Erfrischungsgetränk gedacht. Telepathie durch Seelenverwandtschaft? Oder sah ich einfach wie ein Capri Sonne-Kirsch-Typ aus?

Während Ilse mich auf die Rampe der Fähre schob und ich zufrieden am orangefarbenen Strohhalm meines Drinks nuckelte, beschloss ich, ein kleines Experiment zu machen. Ich stellte mir vor, ihren Körper mit Vanillepudding einzureiben und abzulecken. Daraufhin kollidierte mein linkes Gipsbein mit einem Eisenpoller. „Entschuldigung“, kam es von hinten, „ich hab nicht aufgepasst. Tut es sehr weh?“ Es tat sehr weh, aber gleichzeitig war ich auch froh, dass offenbar ein telepathischer Channel zwischen uns beiden bestand, dessen Existenz ich soeben experimentell verifizieren konnte. Möglicherweise würde dieser Channel uns später noch von Nutzen sein.

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