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Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich quirligen Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Neunter Teil

Was bisher geschah: Ilses Chamäleon Rama ist nicht mehr da +++ John Player soll diesen Zustand korrigieren +++ mir gehen langsam die Synonyme aus +++ Sylter Sydikat = die Bösen? +++ Ilse und Player suchen dort das Syndikat

Krach, bumm, wir fuhren dank Ilses drunk driving in einen Verkaufsstand auf der Rantumer Strandpromenade. Das ganze Ding brach zusammen und wir wurden unter modischen Accessoires begraben. Handtaschen, Gürtel, Geldbörsen. An einem Gürtel hing ein Zertifikat: „100% chameleon skin. Made with pride in Sylt, Germany“. Der Verkäufer, offenbar ein Rumäne, machte einen Riesenaufstand: „Ihr verrückt zu fahren wie die Hunnen in meine schöne Stand?! Ihr bezahlen komplett alles!“ Ich hielt ihm blitzschnell meinen Bibliotheksausweis unter die Nase und zog ihn wieder weg. „John Player, Bundeskriminalamt. Darf ich fragen, wo Sie diese Waren erworben haben?“ – „Häh? Habe nix erworben, habe selbst gemacht!“ –„Selbst gemacht?“ – „Ja. Nehme Chamäleon, ritschratsch Pelle ab, mache schöne Lederwaren.“ Ilse wurde ohnmächtig und sank auf einem Berg aus Terminplanern nieder.

Auch mir wurde langsam blümerant. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren: „Sie machen das Zeug also selber. Gibt es hier noch mehr Stände dieser Art?“ – „Nix mehr Stände. Ist exklusiv. Darum so teuer. Da, Gürtel 500 Euro.“ – „Sapperlott. Wo kriegen Sie die Chamäleons her?“ – „Ich nix sagen.“ – „Jetzt hör mir mal zu, Sportsfreund. Handel mit Chamäleonhäuten ist illegal. Ich könnte Dich auf der Stelle einbuchten lassen ...“ Der Rumäne rollte mit den Augen: „Na gut. Ich kaufen von Mann. Chamäleons alle tot. Mann heißen Karl-Heinz Meierdierks. Haben Wohnung in Klöppelgasse 23. Du nix wissen von mir. Ich gehen nach Paraguay. Tschüss.“

Ich jubilierte innerlich. „Ilse!“, rief ich, „Ilse! Aufwachen! Wir sind ganz nah dran!“ Doch Ilse trieb sich weiterhin in der süßen Dunkelheit des Vergessens herum. Sie umarmte die Terminplaner wie ein zufriedenes Kind. Es war beinahe ein Verbrechen, sie aus ihrem seligen Schlummer in die harte Realität dieser gottverdammten Insel zurückzuholen. Dennoch musste es sein.

„Los, Ilse“, sagte ich, „lassen Sie uns hier verduften. Ich lade Sie auf eine Fanta ein.“ Im Strandlokal „Zum Rantumer Rüden“ erläuterte ich ihr den Teil der Geschichte, den sie verpennt hatte. Sie wollte sofort nach Westerland laufen, aber ich hielt sie zurück. „Ilse, es ist zu erwarten, dass Meierdierks tausende von Chamäleons gefangen hält. Wie sollen wir da Rama finden?“ – „Ich würde ihn unter Millionen von Artgenossen erkennen!“ – „Ich aber nicht. Wie wäre es mit einer Beschreibung?“ – „Also, er ist grün ... nein, warten Sie ... gelb ... nee ... hellbraun! Was rede ich, türkis .. oder eher so rötlich ...“ – „Vergessen Sie die Farbe. Hat er besondere Merkmale?“ – „Er trägt einen Ohrring!“ – „Ilse, Chamäleons haben keine Ohren.“ – „Ich weiß, John. Rama trägt ihn um sein linkes Vorderbeinchen.“ – „Dann auf nach Westerland, Ilse!“ – „Auf nach Westerland, John!“

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