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Berlin wird Hauptstadt

Es gibt nur ein Berlin. Die Berliner wussten das schon vor der Wende

von HADRIAN KOCH

Das Heimweh nach dem Kurfürstendamm plagt mich nicht. Dazu muss man wohl Berliner sein. Das bin ich nicht. Und sicher wäre es auch komisch, aus der Hauptstadt so etwas ähnliches wie eine „Magna Mater“ machen zu wollen, zu der es einen unwiderstehlich hinzieht. Berlin ist eine schöne Stadt und nicht ohne Reiz. Sie kann sich mit München, Hamburg und Köln messen. Kultur gibt es endlos, und vor allem viel Geschichte. Geschichten gibt es auch, und das nicht erst, seitdem hier wieder regiert wird; auf der richtigen Seite meine ich. Die Stadt schläft nicht. Lange war ihre Schlaflosigkeit ein Gemisch aus Lebenswille und Überlebensangst. Heute gehört ihre Schlaflosigkeit eher zu den Unwägsamkeiten der Politik oder den Partys, auf denen man sich zeigen muss, wenn man nicht übersehen werden will.

In Berlin konnte keiner über die „blühenden Landschaften“ hinwegsehen, die man andernorts eher belustigt meinte suchen zu müssen. Hier hat man sie förmlich aus dem Boden gezogen. Gekleckert wurde nicht. Hier wurde geklotzt. Ein Ensemble aus Glas und Beton. Oh, wären Parteiprogramme nur so durchsichtig und die Entschlossenheit zum Wohle des Volkes nur so fest! Das Regierungsviertel hat einen Hauch von Religiösem an sich. Oder ist es doch etwas anderes, diese Mischung aus Geist und Idee, Wille und Macht (oder nur Wille zur Macht?), Kult und Kultur, Kapital und Kalkül? Es reicht jedenfalls aus für die Inszenierung des Ego auf dem Tablett der Bedeutsamkeit. Irgendwie erinnert mich Berlin an Bayreuth; es könnten Partnerstädte sein, die Versöhnung der Preußen mit Bayern nähme ihren Lauf – schon vor dem 22. September.

Es gibt nur ein Berlin – und das ist auch gut so. Die Berliner wussten das schon vor der Wende. Heute weiß es die ganze Welt. An was ich denke, wenn ich an Berlin denke: an den Blick auf die Mauer in Pankow, an meine Angst in der Pappelallee, an einen Vormittag in der Schönholzer Heide, an eine Begegnung mit dem Bundestagspräsidenten, an eine ausgezeichnete Führung durch den Reichstag, an ein Abendessen in der „Gerichtslaube“ und die Vertröstung auf „Mutter Hoppe“.

Vor allem aber sind es die zwei etwa 15-jährigen Jungen, die mich vor vielen Jahren in einer vollbesetzten U-Bahn sehr aufmerksam beäugten. Ich war damals in meiner Ordenskutte unterwegs. Ehe einer den Mut fasste und besorgt fragte: „Hat Sie noch keener anjemacht wejen det Kostüm?“ Er schien beruhigt, als ich seine Frage verneinte. Die Stadt war mir schlagartig sympathisch.

Es gab Augenblicke, die mir Schauder über den Rücken gejagt haben. Da war J. F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“. Da war Ronald Reagans „Mr. Gorbachev, tear down this wall!“. Willy Brandt: „Berlin wird leben, und die Mauer wird fallen“, und Helmut Kohl: „Dieser Augenblick ist einer der glücklichsten in meinem Leben.“

Ich bin kein Berliner, doch der Fall der Mauer war einer meiner glücklichsten Augenblicke. Ich hatte keine Angst, mich lächerlich zu machen, daran zu glauben, noch hatte ich aufgehört, darauf zu hoffen. Die Hoffnung hat sich gelohnt.

Der gebürtige Hesse Hadrian W. Koch, Jahrgang 1944, ist Franziskaner, Guardian und Religionslehrer am Franziskanergymnasium Kreuzburg im südhessischen Großkrotzenburg.

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