: sommerkrimi
Folge 32
„Klingt ganz und gar nicht so, als wenn der Mann ein Eisklotz war. Warum hat sich denn diese Maja von ihm getrennt?“
„Kommt gleich, Pieter. Was ich eben vorgelesen habe, entspricht dem Tenor der Briefe aus den ersten drei Monaten. Ungefähr das letzte Viertel dieser Briefe schrieb er in den restlichen achteinhalb Monaten. In dieser Zeit hat er sich, abgesehen von einer Himalaja-Expedition und einem kurzen Tibet-Besuch, vor allem in Pakistan aufgehalten. Er lernte dort eine Gruppe junger Männer kennen, die der pakistanischen Oberschicht zuzurechnen sind. Alle hatten entweder in England studiert, oder aber in Institutionen, die in Pakistan von den Engländern gegründet und im westlichen Geist geführt wurden. Hier lebte er offenbar in Saus und Braus. Anfangs schrieb er noch empört von Szenen, in denen seine neuen Freunde, nach einer durchzechten Nacht, auf der Straße schlafende Obdachlose mit den Füßen traktierten, weil sie angeblich im Wege lagen. Im Laufe der Monate veränderte er sich immer stärker. Er wendete die überwältigenden Eindrücke von Armut und ausweglosem Elend immer mehr in Zynismus. Ich will euch noch eine Stelle vorlesen:
Heute habe ich mit Khalil über Afghanistan gesprochen. Er verbrachte dort eineinhalb Jahre. Seit zwanzig Jahren herrscht in diesem Land Krieg. Auch vorher schon bestand es nur aus Wüste und Steinen. Was soll man auch von Leuten erwarten, die ihre Frauen wie die Tiere halten. Die lieber den ganzen Tag auf der Matte Richtung Mekka liegen, als sich um die Belange ihres Landes wirklich zu kümmern. Wenn dann der eine Stamm gegen den anderen das Kriegsbeil ausgräbt, dann läuft das Volk scharenweise über die Grenze nach Pakistan und hält hier die Hand auf. In den pakistanischen Flüchtlingslagern arbeiten viele Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen, mit einer ähnlichen Ausbildung wie ich sie habe, und reiben sich auf. Aber ich frage dich: was bringt das Ganze? Nichts. Rein gar nichts. Außer einem vergeudeten Leben. Leute wie ich arbeiten sich an den Verlierern dieser Welt ab und werden dabei selbst zu Verlierern. Ich will aber den Rest meines Lebens kein Verlierer mehr sein. Das ist mir hier klar geworden.
„Dieser Khalil, was ist das für einer?“
„Er heißt Khalil Kawas. Ein Algerier. Novitzki lernte ihn in Pakistan kennen. Später half er ihm dabei, nach Deutschland einzureisen. Besorgte ihm sogar eine Wohnung in Hamburg. Khalil Kawas studiert an der TU in Harburg. Er soll einer der wenigen Freunde gewesen sein, die Novitzki nach Aussage von Maja Schmiedefeld nach der Reise noch in Hamburg gehabt hat. Von seinem alten Freundeskreis hat er sich regelrecht abgewendet.“
Larissa Lehmann ordnete ihre Unterlagen, dann blickte sie fragend von einem Kollegen zum anderen.
„Wirklich saubere Arbeit, Larissa!“ Pieter Lund strahlte sie an. „Das muss ich mal in aller Deutlichkeit sagen. Gründlich recherchiert und präzise analysiert.“
Lund war sich sicher, ein männlicher Ermittler hätte aus dieser Maja Schmiedefeld allenfalls die Hälfte herausgeholt.
Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus
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