Wer drehte am Rad?

ICE-Unglück in Eschede: Angeklagte Ingenieure bestreiten Schuld. Opferanwalt sieht Mitverantwortung der Bahn

CELLE ap/taz ■ Die drei angeklagten Ingenieure haben eine Schuld an der ICE-Katastrophe von Eschede zurückgewiesen. Seit gestern müssen sie sich vor dem Landgericht Lüneburg wegen der fahrlässigen Tötung von 101 Menschen und der fahrlässigen Körperverletzung in 105 Fällen verantworten. Der ICE war am 3. Juni 1998 durch einen gebrochenen Radreifen entgleist.

Angeklagt sind ein 67-jähriger ehemaliger Bahnabteilungspräsident und ein 56-jähriger technischer Bundesbahnoberrat sowie ein 55-jähriger ehemaliger Abteilungsleiter der Vereinigten Schmiedewerke in Bochum.

Staatsanwalt Heinrich Dresselhaus warf den Angeklagten vor, dass sie auf Festigkeitsberechnungen für die Radreifen verzichtet hätten. Eine sonst übliche Stellungnahme von Spezialisten der Bahn-Versuchsanstalt habe man nicht eingeholt. Auch hätten sie nicht dafür gesorgt, dass die ICE-Radreifen auf Risse während des Zugbetriebes überprüft wurden.

Die Verteidiger bezeichneten die Gutachten der Anklage als falsch. Man werde eigene Gutachten von Sachverständigen aus Schweden, der Schweiz, Südafrika und Japan präsentieren, kündigte Rechtsanwalt Otmar Kury an.

Als Vertreter der Hinterbliebenen und Opfer gab Nebenkläger-Anwalt Reiner Geulen der Bahn eine Mitschuld an der Katastrophe. Denn in einem entscheidenden Punkt stimmten die Gutachten überein. Der defekte Radreifen habe bereits sechs Monate vor der Katastrophe einen Riss gehabt und sei damit über 100.000 Kilometer gelaufen. Ähnliche Risse habe man auch an anderen Radreifen festgestellt. Nicht die Angeklagten, sondern der Bahn-Vorstand habe die ICE-Ausrüstung mit gummigefederten Reifen initiiert.

Für den Prozess sind zunächst 22 Termine angesetzt. Der vorsitzende Richter Michael Dölp äußerte Verständnis für den Wunsch, „das Verfahren in überschaubarer Zeit zum Abschluss zu bringen“. Er betonte aber, dass man sich nicht unter Druck setzen lasse. US-Opferanwalt Ed Fagan wurde nicht zum Verfahren zugelassen. Er war unter anderem durch seine Vertretung der Holocaust-Opfer bekannt geworden.