: Der Sommer des Chamäleons
Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich patenten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Dreizehnter Teil.
Was bisher geschah (heute erzählt von Kalle, Präsident des Motorradclubs „Krawalltüte Büdelsdorf“): „Hörma zu Alder, der Macker midde Gipsbeine und die Trulla wetzen da auf Sylt rum. Da werdense von sonem verfickten Spießer eingebuchtet, der in seim Keller Chamäleons frisiert. Erst siehts aus als wärnse original am Arsch, aber der Macker lässt sich nich verscheißern. Der macht da jetzt Achterbahn und nimmt denen original die Bude aussennander, da verwett ich mein Bock drauf.“
Chamäleons mit Antenne, Helm und Rucksack. Wieviele dieser seltsamen Gesellen mochte diese Anlage bereits ausgespuckt haben? Die ständigen Störungen, die den Produktionsprozess jeweils über längere Zeit lahmlegten, ließen vermuten, dass die Gesamtzahl der bisher umgebauten Chamäleons nicht sonderlich hoch lag. „Verdammter tschechischer Schrott“, hörte ich einen Mechaniker fluchen, „wer ist bloß auf die beknackte Idee gekommen, eine ausrangierte Produktionsstraße von Lada zu kaufen?“
Als ich weiterfuhr, wurden wir von einem Elektroauto überholt, in dem Dr. Stefan Frank saß. Ich drückte etwas auf die Tube und folgte ihm unauffällig. Dr. Frank hielt vor einem riesigen Panzerglasbehälter, in dem ein violettes Haus stand. Davor befand sich eine kleine Beobachtungsplattform mit Technikern, die an Messgeräten herumfummelten. Ich hielt in einiger Entfernung und beobachtete die Szenerie. Dr. Frank sprach mit einem Techniker und bekam von ihm ein Gerät in die Hand gedrückt, das wie die Fernsteuerung eines Spielzeugautos aussah. Der Doktor zog die Antenne heraus und hantierte an den Hebeln herum, woraufhin ein umgebautes Chamäleon im Innern des Behälters sich in Bewegung setzte. Dr. Frank ließ es senkrecht an den Wänden des Hauses hinaufklettern, wobei das Chamäleon die violette Farbe der Hauswände annahm und kaum noch zu erkennen war. Nachdem er das Tier einige Zeit auf dem Haus hatte herumkrabbeln lassen, drückte er einen Knopf auf der Fernsteuerung. Eine gewaltige Explosion ließ die Wände des Panzerglasbehälters erbeben. Als der Staub sich legte, war von dem Haus nichts mehr zu sehen.
„Diese Dreckschweine“, schnaubte Ilse, die durch die Gucklöcher in der Kiste alles mitbekommen hatte. Die Techniker klatschten sich selbst Beifall und machten eine Flasche Sekt auf. Ich war fest entschlossen, ihnen die Sektlaune in absehbarer Zeit zu verderben.
„Hören Sie zu“, sagte ich zu Ilse und Gudrun, „ich habe einen Plan. Wir besorgen uns einige dieser Rucksack-Sprengladungen, lassen sie hochgehen und rufen über Lautsprecher zur Evakuierung der gesamten Anlage auf. Dann befreien wir die Chamäleons und jagen den ganzen Laden in die Luft. Einwände?“ – „Keine“, kam es in Stereo aus der Kiste.
In diesem Moment ertönte aus besagter Lautsprecheranlage ein Pausengong. Dr. Frank und die Techniker ließen ihre Sektgläser stehen und setzten sich in ihre Elektroautos. Ich versteckte den Stapler, die Frauen und mich vor der heranrasenden Meute hinter einem WC-Container. Nicht nur Dr. Frank und seine Handlanger rauschten an uns vorbei, sondern nach und nach die gesamte Belegschaft, Mechaniker, Wachpersonal, Bauarbeiter. Offenbar gab es hier eine zentrale Kantine, in der sich alle ganz brav zum Mittagessen versammelten.
Als die Luft rein war, folgte ich der peniblen Ausschilderung – Spießertum konnte auch Vorteile haben – in Richtung „Materiallager“. Dort stießen wir auf unzählige Kisten mit Rucksäcken, Fernsteuerungen, Chamäleonhelmen – und auch auf die Chamäleons selbst. Sie stapelten sich in zwei überdimensionalen Terrarien, von denen das eine mit „Rohmaterial“ und das andere mit „Endprodukt“ beschriftet war. Artgerechte Tierhaltung war jedenfalls etwas anderes. Ich entdeckte auch eine Kiste mit toten Chamäleons, die an einen gewissen Vasile Lampucescu in Rantum adressiert war, aber diese Entdeckung verschwieg ich Ilse wohlweislich. „Beeilung, die Damen“, sagte ich, „die Mittagspause ist gleich vorbei!“
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