: The Show Must Go On
In Sachsen belaufen sich die Gesamtschäden an den Kultureinrichtungen nach der Flut auf 60 Millionen Euro. Doch der Betrieb soll weitergehen
von MICHAEL BARTSCH
Die Bilder des Landschaftsmalers Johann Alexander Thiele, die seit April im Dresdner Schloss zu sehen waren, haben nach der Flutkatastrophe ihre Unschuld verloren. Vorindustrielle Romantik, seufzende Erinnerung an eine Zeit der Harmonie zwischen Bauwerk und Landschaft. Man betrachtet sie anders, seit Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin die Ausstellung in ostentativer Weise am 27. August wieder eröffnete. Denn zu sehen sind im Zustand des 18. Jahrhunderts genau die gegenwärtigen Unglückslandschaften, der Plauensche Grund, Königstein, die Elbauen.
Wie diese Sonderausstellung haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die meisten ihrer Museen wieder geöffnet, und sei es nur behelfsweise. Das gilt mit Ausnahme von Pirna, Döbeln und Grimma auch für alle kommunalen Kultureinrichtungen in Sachsen. Gemeinsam mit der Tourismusbranche sorgen sich auch die Künstler und Kunstbewahrer um die Folgeschäden des Hochwassers. Bis zu 90 Prozent Stornierungen beklagen die Hotels, als sei ganz Sachsen hinweggespült worden. Die Kunstmeile der Dresdner Altstadt wirkt verwaist. „Fiete“ Junges privater Theaterkahn, der die Flut wie eine Arche schwimmend überstand, zählte zur Premiere vor einer Woche 12 Gäste.
„Bauen Sie so schnell, wie es technisch möglich ist. Über die Bezahlung reden wir später.“ Ministerpräsident Georg Milbradt drängte bei seinem Rundgang durch die landeseigenen Kunsteinrichtungen Dresdens unüberhörbar auf Tempo und auf improvisierte Ersatzangebote. Doch beim Betreten der Untergeschosse von Semperoper, Zwinger oder Staatsschauspiel sind nach wie vor Gummistiefel ratsam. Am vergangenen Freitag setzten Arbeiter behelfsmäßig erstmals wieder den großen Fahrstuhl der Sempergalerie am Zwinger in Gang. Die letzten vier Großgemälde der „Alten Meister“ verließen die Kellerdepots, die bei der Wiedereröffnung der Galerie vor zehn Jahren noch als die modernsten Europas galten. Die Bilder passten nicht wie die anderen 4.000 geretteten Werke durch das Treppenhaus und waren deshalb quer unter der Depotdecke verschnürt worden – in banger Hoffnung auf die Pumpen und den Elbepegel.
Oben in der Galerie, dem „Heiligthume der Kunst“, sieht es aus wie bei einem Umzug. Die hier gestapelten Gemälde werden nicht wieder in die Kellerdepots zurückkehren. „Ich schütze diesen Staatsschatz, vor wem und was auch immer“, verkündet Generaldirektor Martin Roth. Niemand könne ihm jetzt mehr weismachen, die Depots seien wassersicher zu gestalten. Ein Problem, vor dem in gleicher Weise das Deutsche Hygienemuseum und beispielsweise auch teure Labors der TU Dresden in Erdgeschosshöhe stehen.
Inzwischen gilt als sicher, dass zumindest für ein Jahr das oberhalb des Stadtkerns gelegene ehemalige Gebäude der Sächsischen Landesbibliothek als Depot genutzt wird. Sie war erst kürzlich in einen Neubau auf dem TU-Campus umgezogen. Die 16,7 Millionen Euro Schadenssumme bei den Kunstsammlungen bezieht sich vorerst nur auf Haustechnik und Gebäudeausrüstungen. Wenn auch kein Kunstwerk verloren ging, lässt sich der entstandene Restaurationsaufwand derzeit noch nicht abschätzen.
Den Gesamtschaden an der benachbarten Semperoper beziffert Kunstminister Matthias Rößler auf 20 Millionen Euro. Bühne, Zuschauerraum und Foyer sind unversehrt. Aber das Funktionsgebäude, aus dem unter anderem sämtliche Verträge und Geschäftsunterlagen wegschwammen, ist unbrauchbar. Ein trauriges Bild bieten die beiden verrotteten Steinway-Flügel und andere Tasteninstrumente im Keller. Hinsichtlich eines Wiedereröffnungstermins hat Intendant Christoph Albrecht vorerst auch keine günstigeren Prognosen als das Frühjahr 2003. Doch Mitte Oktober will er unbedingt eine Premiere herausbringen, „ob in den Messehallen, in einer Kirche oder im Zirkuszelt“. Schließlich gehen der mit einem Kostendeckungsgrad von fast 30 Prozent arbeitenden Oper jede Woche 300.000 Euro an Einnahmen verloren.
Im Schauspielhaus auf der anderen Zwingerseite will Intendant Holk Freytag sogar die geplanten Premierentermine im September halten. Nutzbare eigene Spielstätten wie das Schlosstheater oder das innovative „Theater in der Fabrik“ und die Ausweichspielstätte im Festspielhaus Hellerau machen es möglich. Im Schauspielhaus jedenfalls ist „unterhalb der Wasserlinie alles kaputt, was kaputtgehen kann“, so Freytag. 10,8 Millionen Euro soll die Wiederherstellung des Hauses mindestens kosten. Wie ein Nachtreten wirkt es unter diesen Umständen, wenn Gastregisseur Michael Thalheimer die Inszenierung von Horvaths „Der jüngste Tag“ kurzfristig geschmissen hat, weil ihm die Ausweichspielstätte in Hellerau nicht passt. Für Thalheimers Theaterverständnis hat in dieser Situation kaum jemand Verständnis in Dresden. Intendant Freytag probt nun selbst unter Hochdruck bis zum 7. September.
Der Bundeskulturminister eröffnete in der Vorwoche nicht nur Ausstellungen in Dresden, sondern brachte auch bares Geld mit: 5 Millionen Euro Soforthilfe, 2 Millionen davon aus der Bundeskulturstiftung. Im sächsischen Aufteilungsvorschlag sind neben den Dresdner Leuchttürmen erfreulicherweise auch kleinere Bühnen wie in Meißen und Döbeln oder das Grimmaer Museum mit Beträgen um 200.000 Euro berücksichtigt. Sie werden nicht mit jenen 100 Milionen verrechnet, die mit Beginn des nächsten Jahres den Sachsen und Anhaltern zur Verfügung stehen sollen und die Nida-Rümelin aus dem Hilfsprogramm der Bundesregierung abgezweigt hat. Ein Zehntel dieser Summe soll noch in diesem Herbst bereitstehen. Ein halbwegs fairer Ausgleich, denn der sächsische Freistaat schätzt seine Gesamtschäden an Kultureinrichtungen auf etwas über 60 Millionen Euro.
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