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Al-Qaida trotzt der Rezession

Bin Ladens Terrornetzwerk floriert wirtschaftlich und ist weiterhin „gesund und munter“, berichtet ein UN-Expertenkomitee. Nach Protesten der US-Regierung wurde der neue Untersuchungsbericht des Komitees jedoch vorerst nicht veröffentlicht

von DOMINIC JOHNSON

Unstimmigkeiten auf höchster Ebene erschweren die internationalen Bemühungen, die Finanzquellen des Terrornetzwerks al-Qaida auszutrocknen. Der neueste Bericht des zuständigen UN-Komitees zur „Umsetzung von Sanktionen im Zusammenhang mit Afghanistan“ wurde nicht, wie zuvor angekündigt, diese Woche veröffentlicht. Zuvor hatte die US-Regierung gegen seinen Inhalt protestiert. Aber auf einer Pressekonferenz am Donnerstag machte Michael Chandler, Vorsitzender des Komitees, keinen Hehl aus seiner Einschätzung, dass al-Qaida ein Jahr nach dem Terroranschlägen vom 11. September nach wie vor intakt ist. „Niemand sollte daran zweifeln, dass al-Qaida weiterhin über genug Ressourcen verfügt, um in vielen Teilen der Welt zu operieren und weitere Terroranschläge zu planen und durchzuführen“, so Chandler.

Der 43-seitige Bericht von Chandlers Komitee war Ende August inoffiziell an zahlreiche Presseorgane gegangen. „Al-Qaida ist allen Angaben zufolge gesund und munter, trotz der erfolgreichen Vorstöße gegen es in den jüngsten Monaten, und steht bereit, erneut zuzuschlagen – wie, wann und wo es will“, stand darin laut Washington Post. Die Gruppe verfüge über Investitionen in Mauritius, Singapur, Malaysia, den Philippinen und Panama sowie Bankkonten in Dubai, Hongkong, London, Wien und Malaysia. Kapital im Wert von 30 bis 300 Millionen Dollar werde von legalen Unternehmen im Auftrag al-Qaidas weltweit gemanagt.

Der Vorabbericht übte scharfe Kritik am internationalen Vorgehen gegen al-Qaida. Dieses besteht auf UN-Ebene vor allem daraus, vermutete Verbindungspersonen von al-Qaida mit Sanktionen bis hin zur Beschlagnahme von Vermögen zu belegen. Im Einklang mit der entsprechenden Resolution 1.390 des UN-Sicherheitsrats vom 16. Januar 2002 ist eine Liste von derzeit 227 Einzelpersonen und 73 Körperschaften erstellt worden. Sie wird regelmäßig aktualisiert – allerdings laut Chandler nicht oft genug. Die meisten der genannten Personen sind entmachtete Taliban aus Afghanistan. Demgegenüber seien etwa 35 neue Namen noch immer nicht eingetragen, darunter der afghanische Islamistenführer Gulbuddin Hekmatyar und verhaftete mutmaßliche Al-Qaida-Terroristen aus Europa. Und während im Jahr 2001 nach dem 11. September weltweit etwa 112 Millionen Dollar „Terrorguthaben“ beschlagnahmt wurden, so das Komitee, seien im Laufe des Jahres 2002 nur etwa 10 Millionen Dollar hinzugekommen.

Vor allem diese Hinweise regten die US-Regierung auf. Der Bericht sei „ein unvollständiges Bild des finanziellen Krieges gegen den Terror“, erklärte das US-Finanzministerium noch am 29. August. „Es geht nicht darum, Dollars aus Bankkonten zu grapschen, sondern die finanzielle Infrastruktur des Terrors zu zerstören.“ Schon seit Monaten widerspricht die US-Regierung regelmäßig jedem Hinweis, al-Qaida sei nach wie vor eine schlagkräftige Organisation.

Die ursprünglich für Mittwoch oder Donnerstag geplante Veröffentlichung des UN-Berichts ist nun offenbar diesem Streit zum Opfer gefallen. Der Sicherheitsrat hat lediglich am Mittwoch die Liste der mit Sanktionen belegten Personen aktualisiert. Es wurden 11 Personen, sämtlich Maghrebiner, sowie 14 Unternehmen vor allem aus der Schweiz, Liechtenstein und Italien hinzugefügt. Am 26. August waren 6 Namen gestrichen worden – alles Somalis.

Anders als von den USA behauptet ist den UN-Experten klar, dass der Kampf gegen al-Qaida auf ökonomischer Ebene immer komplexer wird. Der letzte Bericht des Sanktionskomitees vom Mai hatte gewarnt, das Terrornetzwerk sei dabei, sich von Geld auf Naturalien umzuwandeln, um Sanktionen zu entgehen. Der Schweizer Generalstaatsanwalt Valentin Roschacher sagte am Mittwoch in Washington, der Großteil des Vermögens von al-Qaida sei nun in Gold und Diamanten angelegt. Am Dienstag hatte die Washington Post berichtet, al-Qaida habe mehrere Schiffsladungen Gold in den Sudan verschoben. „Wir wissen, dass zahlreiche Personen vom ursprünglichen Operationsfeld in der Region Afghanistan/Pakistan in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind und sich auch in anderen Ländern repositionieren“, sagte Chandler am Donnerstag dazu.

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