: Grundvoraussetzung des Fußballs
Hertha BSC Berlin gelingt bei Arminia Bielefeld nach vier sieglosen Partien ein erster Schritt aus der Krise. Nicht schön gespielt, mit Glück zwei Elfmetern entgangen, aber einen Marcelinho im Team: macht im Duell der Mittelmäßigen am Ende ein 1:0
aus Bielefeld JENS KIRSCHNECK
Als das einzige Tor des Tages gefallen war, lief der Schütze jubelnd über das halbe Feld, und während er lief und lief, küsste er inbrünstig das auf sein Trikot gestickte Vereinsemblem. Eine Geste, die emotionale Verbundenheit mit dem Klub ausdrücken soll, aber kaum einem Profispieler als wahrhaftig abgenommen wird; vor wenigen Monaten hat etwa Ronaldo noch das Logo von Inter Mailand geherzt, heute wünschen sie dem Neu-Madrilenen in der Lombardei aus bekannten Gründen die Pest an den Hals. Es braucht also niemand davon auszugehen, dass Hertha BSC Berlin für Marcelinho die Liebe seines Lebens ist, dennoch strahlte die Geste nach dem Siegtreffer auf der Bielefelder Alm etwas Ehrliches aus. Und sei es, dass sie bloß sagen wollte: Wir haben alle an einem Strang gezogen, und siehe, wir leben noch.
Dieser Aspekt stand bei der Analyse fast aller Berliner im Vordergrund: die Beschwörung eines Kollektivs, dass sich mit vereinter Kraft aus schwieriger Lage befreit hat. „Ich habe eine Mannschaft gesehen, die zusammengerückt ist“, sagte Trainer Huub Stevens. Ex-Armine Arne Friedrich pries, „dass wir als Einheit aufgetreten sind“, Manager Dieter Hoeneß hatte endlich die „Grundvoraussetzungen des Fußballs“ gegeben gesehen, und Pal Dardei konkretisierte: „Die Aggressivität war wieder da.“
Die nach dem Spiel nahezu epidemisch um sich greifende allgemeine Erleichterung war verständlich: Vier Bundesligaspiele ohne Sieg und das Erstrunden-Aus im DFB-Pokal drohten die Hertha gleich zu Saisonbeginn in eine schwere Krise zu stürzen. Zuletzt hatte Hoeneß die Prämien für den Gewinn des Ligapokals eingefroren, und Coach Stevens, von Teilen der Öffentlichkeit ohnehin misstrauisch beäugt, geriet bereits kurz nach Amtsantritt unter Druck. In Bielefeld präsentierte sich der in der Hauptstadt zum Anzugträger mutierte Holländer im Trainingsdress, quasi back to the roots, und ähnlich erdverbunden gab sich seine Elf auf dem Feld: hinten die Reihen fest geschlossen, Gras fressen, Meter machen, und vorne hilft der liebe Gott oder Marcelinho. „Schönspielerei ist derzeit nicht angesagt“, stellte Friedrich nüchtern fest, und so betrachtete es die Hertha über weite Strecken des Spiels als ihre Hauptaufgabe, den Ball vom eigenen Kasten fernzuhalten. „Die kommen als Großverein und stellen sich so tief hinten rein“, wunderte sich Arminias Detlev Dammeier, doch in der Situation der Berliner heiligt der Zweck die Mittel.
Und funktioniert hat es ja, wenngleich das bis dato verhinderte Spitzenteam für den Sieg „ein Quäntchen Glück erzwingen“ musste, wie Stevens sich nachher ausdrückte. In der Tat: Vata, Wichniarek und Cha vergaben erstklassige Chancen für die Gastgeber, denen Schiedsrichter Hermann Albrecht zudem einen eindeutigen Strafstoß verweigerte. Nur drei Minuten nach Marcelinhos Führungstor (52.) trat Stefan Beinlich innerhalb von Sekunden zweimal elfmeterreif in Erscheinung, als er erst das Leder mit der Hand abwehrte und dann Bielefelds Ansgar Brinkmann von den Beinen holte.
Dass der Sieg der ohne sieben verletzte Stammspieler angetretenen Hertha trotzdem nicht unverdient war, lag am bereits hinlänglich erwähnten Marcelinho. Er machte im Duell zweier mittelmäßiger Mannschaften den Unterschied. Er streichelte den Ball, wo andere holzten, lief unermüdlich, spielte elegante Pässe, und sein Tor, volley mit der Innenseite aus 20 Metern erzielt, vereinte Schusstechnik und Spielintelligenz auf ästhetisch wertvolle Weise. „So einen Spieler wie Marcelinho haben wir leider nicht“, musste sich Arminias Trainer Benno Möhlmann eingestehen, während Hoeneß frohlockte, dass der Brasilianer allmählich wieder „in die Form kommt, in der wir ihn haben wollen“. Im Krisengerede war jüngst auch er nicht ungeschoren davongekommen, sein opulenter Vertrag bis 2007, hieß es, schüre den Neid der Kollegen. Sollte er immer so spielen wie am Samstag, dürften sie ihn fortan mit Liebe überschütten, so wie er sein Trikot.
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