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Fluppen auf Rezept

Das Wahrheit-Wahlporträt. Heute: Deutsche Fußball Partei (DFP)

Der Kanzlerkandidat erklärt auf sympathische Art, dass Fußball viel besser sei als Krieg

Niemand hat mit diesem Ansturm gerechnet. Die Berliner Max-Schmeling-Halle ist brechend voll, viele haben keinen Sitzplatz mehr ergattert und hocken nun in den Gängen oder auf den Treppen zu den Rängen, trinken Bier aus Plastikbechern und grölen. Dabei hatte die Parteispitze in weiser Voraussicht ein Team zusammengestellt, das die Wahlveranstaltung minutiös vorbereiten und organisieren sollte. Und nun das. Da hätte man doch gleich ins Stadion gehen können, dort ist die Umgebung ohnehin viel vertrauter. Nun ist es zu spät.

Die Menge wird unruhig. Gleich wird der Parteivorsitzende Gerhard Mayer-Vorfelder gemeinsam mit seinem Spitzenkandidaten Rudolf Völler die Bühne betreten und die Mannschaft präsentieren. Oder zumindest Teile davon, denn bis zuletzt blieb unklar, wer welches Amt übernehmen soll. Schließlich will man den Gegnern nicht die Möglichkeit geben, eine gezielt auf einzelne Kandidaten gerichtete Manndeckung aufzubauen. Aber so viel steht fest: Aktive Spieler sollen nicht Minister werden, die werden nach wie vor anderweitig gebraucht. Panem et circenses, Brot und Spiele im Circus Maximus – das Erfolgsrezept der alten Römer wurde auf Anraten der Marketingagentur im Wahlprogramm festgeschrieben. Plötzlich wird es dunkel. Musik erklingt, es ist ein Potpourri aus beliebten Siegerliedern und Schnulzen. „We are the champions“ geht über in „Guantanamera“; das Publikum ist außer sich, singt: „Es gibt nur ein’ Rudi Völler.“ Von einem Spot angestrahlt schreitet nun eine Männergruppe langsam in Richtung Bühne, muss Hände schütteln, Babys abschmatzen. Es ist, als würde ein Boxweltmeister in den Ring steigen. Nur mühsam erkämpfen die Security-Leute den Weg. Mayer-Vorfelder erklimmt als Erster die Stufen, tritt ans Rednerpult, macht das Victory-Zeichen. Der Saal kocht. „Rudi, Rudi.“ Die skandierende Menge kann MV, wie er von seinen Parteikameraden genannt wird, nicht aus der Ruhe bringen. Dafür ist er zu lange im Geschäft, hat im Stuttgarter Landtag schon viele hitzige Debatten ausgelöst. Erst mal ein Schlückchen aus dem Flachmann, dann bringt MV das Publikum mit einer Handbewegung zum Schweigen.

In zwei knappen Sätzen präsentiert MV dem Publikum, was es will: Rudi, den Kandidaten. Offenbar weiß er sehr genau, dass sein Kandidat viel beliebter ist als die Kanzlerkandidaten anderer Parteien. Beliebter als Schröder, beliebter als Stoiber, und da gab es doch noch einen, aber dessen Namen kann sich ohnehin keiner merken. Egal, Rudi wird gefeiert, und nur das ist wichtig. Der hat inzwischen mit seiner Rede begonnen, erläutert in seiner schlichten, sympathischen Art die Weltlage, erklärt, dass Fußball viel besser sei als Krieg und dass man Konflikte doch auch gut im Stadion austragen könne. Aber bis dahin sei es noch ein weiter Weg, nun müsse man sich erst mal um die EM und dann um die nächste WM kümmern, denn die hat der Franz nach Deutschland geholt. Das wird auch ganz viele Arbeitsplätze schaffen, da ist er sich sicher. Tosender Applaus.

Bayerische Vorherrschaft soll es dennoch in seiner Regierung nicht geben, auch wenn in seinem Kabinett selbstverständlich einige Bayern vertreten sein werden. Der Franz zum Beispiel, der wird Minister für Bildung und Forschung. Da hat er richtig Ahnung von, sagt Rudi. Und Ulli Hoeneß wird Finanzminister, was sonst. Aber das Potenzteam kommt aus dem ganzen Land. Sogar ein Wahlschotte ist dabei: Der auf internationalem Parkett erfahrene Berti Vogts soll Außenminister werden. Und Rainer Calmund wird Verbraucherminister: „Dem Rainer sieht man doch schon von weitem an, dass er was verbraucht.“ Um das Gesundheitsministerium wird sich nach langer Diskussion, ob nicht Hans Wilhelm Müller-Wohlfahrt der gebotene Kandidat sei, nun der Vorsitzende Gerhard Mayer-Vorfelder persönlich kümmern. Mit seinen Thesen zur Gesundheitsreform („Fluppen auf Rezept“) konnte er sich gegen den Mitbewerber durchsetzen.

Verkehrsminister wird nach dem Willen der DFP Volker Finke: mit Fluktuation kennt er sich aus. Spitzenkandidat für den Posten des Wirtschaftsministers ist Rudi Assauer, das Familienministerium soll die leidgeprüfte Spezialistin Martina Effenberg leiten. Das Verteidigungsministerium wird fußballgerecht umbenannt in „Bundesministerium für Angriff und Verteidigung“, mit Günter Netzer an der Spitze. Kulturminister wird der Philosoph Otto Rehhagel („Mal verliert man, mal gewinnen die anderen“) – der Goethe-Freund liebt auch die Bilder eines italienischen Malers, dessen Namen er leider vergessen hat.

Und wenn genügend Sitze zusammenkommen, will die Deutsche Fußball Partei ihren Ehrenvorsitzenden Dr. Egidius Braun zum Bundestagspräsidenten machen. DIETER GRÖNLING

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