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Hamburgs Grüne schlaflos glücklich

Nach langer nächtlicher Ungewissheit feiert die GAL sich und Rot-Grün im Bund und den Untergang von Schwarz-Schill in Hamburg. Zwei Abgeordnete des stärksten grünen Landesverbandes der Republik gehen mit breitem Rücken in den Bundestag

von SVEN-MICHAEL VEIT

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über: Um Worte waren Hamburgs künftige grüne Bundestagsabgeordneten Anja Hajduk und Krista Sager folglich nicht verlegen, als es gestern galt, die Bundestagswahl zu analysieren (Analysen und Tabellen S. 26). Über das eigene „überragende Abschneiden“ und den „sehr erfolgreichen Wahlkampf“ wussten sie sich zu freuen, über „Schills Untergang“ und die „deutliche Quittung für die Hamburger Regierung“ ebenfalls. Und über die Fortsetzung der rot-grünen Koalition im Bund ohnehin.

Nur an einem Punkt wirkte Sager noch immer ungläubig. Dass die unerwarteten 16,2 Prozent der GAL tatsächlich zwei Mandate bescheren und sie demnächst in den Bundestag wechseln wird, hatte die Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion „so ganz noch nicht realisiert“. Um 4.20 Uhr in der Früh hatte das Landeswahlamt ihr den Befund telefonisch mitgeteilt, „und danach konnte ich nicht mehr schlafen“.

Mit dem besten Ergebnis aller grünen Zeiten und einer GAL als mit Abstand stärkstem Landesverband im Rücken würden sie und Hajduk „als starkes Team“ heute um 14 Uhr in die erste Sitzung der grünen Bundestagsfraktion gehen. Allen Spekulationen auf Regierungsämter erteilten beide die üblichen Absagen. Die Fraktion werde schon „zu gegebener Zeit“ die richtigen Entscheidungen treffen.

Das grüne Rekordergebnis in Hamburg führen Sager und Hajduk auf zwei Faktoren zurück. Zum einen sei die Werbung um die „Zweitstimme für Joschka“ sehr erfolgreich gewesen. Das Vertrauen der WählerInnen in die „grüne Eminenz“ sei außergewöhnlich hoch; auch hätten sich die Grünen als Partei „des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes und der Bürgerrechte glaubhaft profiliert“.

Zum anderen sehen beide einen starken lokalpolitischen Einfluss auf das Resultat in der Hansestadt. Eine „Hamburger Sonderentwicklung“ sei aus dem Wahlergebnis eindeutig herauszulesen: Verluste bei der CDU entgegen dem Bundestrend und das „Desaster“ für die Schill-Partei seien anders nicht erklärbar. Schwarz-Schill habe, glaubt Sager, „keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung“.

Für die GAL sei dieses Ergebnis „ein Auftrag und eine Chance“, findet Sager, und warnt zugleich vor Übermut: „Das ist kein Selbstläufer für die nächste Bürgerschaftswahl.“ Aber natürlich seien Hamburgs Grüne „gestärkt“ und würden dem Senat „einen heißen Herbst bereiten“. Ohne Hajduk und Sager allerdings, die ihre Bürgerschaftsmandate niederlegen werden.

Personell geht es in der GAL-Fraktion demnächst ohnehin hoch her. Denn der Abgeordnete und ehemalige Umweltsenator Alexander Porschke verkündete gestern aus beruflichen Gründen seinen Rückzug aus der Politik (siehe S. 28). Also werden zur nächsten Bürgerschaftssitzung am 30. Oktober drei NachrückerInnen in die Fraktion kommen: der 39-jährige Architekt Jörg Lühmann, die 43-jährige Beamtin Sabine Steffen, die bereits von 1997 bis 2001 im Parlament saß, und der 36-jährige stellvertretende GAL-Vorsitzende Jens Kerstan.

Und natürlich muss der Fraktionsvorsitz nach Sagers Ausscheiden neu besetzt werden: Sehr wahrscheinlich mit der bisherigen Fraktionsvize und Schulpolitikerin Christa Goetsch.

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