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Den Bürgerschreck vermitteln

Neu auf dem Berliner artforum (3): An ihrem Gemeinschaftsstand zeigen die Moskauer Galerien VP Studio und Ulitsa Ogi eine Rückkehr zum Konstruktivismus – in Ölfarbe und aus Rasierklingen

von HARALD FRICKE

Die Security ist verstärkt worden. Vier Mann hoch stehen sie am Ausgang und prüfen jede Tasche. Seit auf dem artforum noch während des Eröffnungsabends eine kleine Skulptur von Mona Hatoum am Stand von Nordenhake geklaut wurde, ist alles möglich. Die Männer sind nervös, mehr darf nicht verschwinden, sonst wird es teuer.

Richtig gut laufen die Geschäfte drinnen ohnehin nicht. Die großformatigen Daniel-Richter-Bilder bei Contemporary Fine Arts haben zwar rote Verkaufspunkte, aber an den meisten Kojen stehen sich die Galeristen am zweiten Tag der Messe schon die Beine in den Bauch. Jetzt heißt es: Warten auf Kundschaft, bis Montag um 18 Uhr.

Auch Lisa Plavinskaya sieht am Tag nach der Opening-Party ziemlich müde aus. Sie sitzt in Halle 21 a, Stand 4, wo sich die Moskauer Galerien VP Studio und Ulitsa Ogi gemeinsam präsentieren. Die Preise für die angebotenen Kunstwerke halten sich in Grenzen: Alexander Konstantinovs auf 50 Zentimeter vergrößerte Taschenrechner-Chips kosten 1.500 Euro, für Nikoly Filatovs „Centaur“ muss man 5.000 Euro bezahlen. Bei Standmieten von 148 Euro pro Quadratmeter, zuzüglich Anreise, Unterbringung, Zoll et cetera sieht es nicht gut aus ohne rote Punkte.

Dabei müsste Plavinskaya nur das Gemälde von Dmitry Plavinsky verkaufen – und die Messe hätte sich schon gelohnt. Plavinsky gehörte bereits in den 70er-Jahren dem Komitee der Moskauer Künstlervereinigung an, die Tretjakow-Galerie besitzt einige seiner Grafiken in ihrer Sammlung, auch das Museum Ludwig in Köln und selbst das New Yorker Museum of Modern Art haben in den Achtzigerjahren Arbeiten von ihm gekauft. Tatsächlich ist Plavinsky ein Star, der mittlerweile in Russland und den USA einen festen Wohnsitz hat.

Doch in Berlin hängt sein „Shining hicosaidor“, ein grau abgestufter Diamant auf anthrazitfarbenem Grund, der den Konstruktivismus zitiert, recht unbeachtet in der Moskauer Messekoje. Die meisten Besucher starren bloß auf Boris Stuchebrukovs „Galatea“-Kissen aus 22.000 Rasierklingen, das VP Studio eine Schreibtischlänge entfernt zeigt. Dann fühlen sie sich in ihrer Vorstellung vom Russen als Bürgerschreck bestätigt und gehen weiter.

Für Plavinskaya dagegen waren die abstrakten Arbeiten von Plavinsky ein Grund, mit ihrer Arbeit als Kunstkritikerin aufzuhören und die Seite zu wechseln. Sie sieht ihre Galeriearbeit als tägliche Vermittlungsarbeit im Auftrag der Kunst, das erklärt sie in einem leicht irrlichternden Englisch. Auf die Frage, seit wann Ulitsa Ogi existiert, zeigt sie mit dem Daumen nach links und sagt verschmitzt lächelnd „one year before“, also 2001. Das muss fürs Erste zur Verständigung reichen. Vielleicht wird es im Dezember einfacher. Dann wird die Galerie eine Homepage mit ihrer Künstlerliste ins Netz stellen.

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