piwik no script img

Deal in der Grauzone beförderte Todesstrafe

Deutschland darf nach seiner Verfassung keine Rechtshilfe gewähren, wenn das zur Todesstrafe führt. „Deshalb haben die Amerikaner die Akte Coday in Deutschland anders beschafft“, sagt Anwalt Bernhard Docke. Er versuchte vergeblich, einen Amerikaner in den USA vor der Todesstrafe zu bewahren

Der Bremer Strafverteidiger Bernhard Docke war in ungewöhnlicher Mission in den USA: Vor einem US-Gericht in Fort Lauderdale wurde er als sachverständiger Zeuge im Mordprozess gegen den amerikanischen Bibliothekar William Coday gehört. Dockes Aussage sollte klären helfen, ob das Gericht trickreich in Deutschland beschaffte Dokumente verwenden dürfte, um Coday zum Tode zu verurteilen. Der 45-Jährige hatte seine Freundin erschlagen, die sich von ihm getrennt hatte. Schon vor 25 Jahren in Hamburg hatte der Angeklagte eine amerikanische Ex-Freundin nach der Trennung umgebracht.

taz: Ein Mordprozess in Florida, ein Urteil in Hamburg – wie kommt ein Bremer Rechtsanwalt zu einem solchen Fall?

Berhard Docke: Den Auftrag bekam ich von zwei Pflichtverteidigern William Codays. Sie wollten verhindern, dass die US-Staatsanwaltschaft im Prozess eine Vorstrafe aus Deutschland einführt. Coday war 1978 in Hamburg wegen Totschlags in minderschwerem Fall bei eingeschränkter Schuldfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und nach 18 Monaten in die USA abgeschoben worden. Das hat die Ermittler wohl elektrisiert, denn wer eine Vorstrafe im Bereich „Angriff gegen menschliches Leben“ hat, kann in Florida schneller zum Tode verurteilt werden. Offensichtlich sind die Ermittler aber nicht über Kripo und JVA an die Hamburger Prozessakten gekommen, weil die Daten schon vernichtet waren. Also fuhr der us-Ermittler zu einem befreundeten Kripomann nach Bamberg, der ihm die Akte im Archiv der Hamburger Staatsanwaltschaft illegal besorgte, die dann als Original in die USA wanderte. Unglaublich. Denn Deutschland gibt kein Belastungsmaterial an die USA weiter, wenn dem Angeklagten die Todesstrafe droht. Darum geht es ja zurzeit auch im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen mutmaßliche Terroristen, Stichwort 11. September. Da wollen die USA auch Beweismittel aus Deutschland haben – Originalbelege von Bankauszügen beispielsweise, die belegen sollen, dass ein Verhafteter die Flugstunden für die Piloten des 11. September bezahlt hat. Aber im Fall Coday hatten die Amerikaner nicht mal ein förmliches Rechtshilfe-Ersuchen an die Bundesrepublik gestellt.

Sie haben zwar den Richter überzeugt, das Material im Prozess nicht zuzulassen. In den Zeitungen stand trotzdem alles.

Ja. Wobei es in Florida bei Tötungsdelikten ein zweistufiges Strafverfahren gibt, bei dem es im ersten Schritt um die Frage geht: Schuldig oder nicht? Das müssen die Geschworenen einstimmig entscheiden – und das konnten sie, weil Coday die Tat zugab. Im zweiten Schritt geht es dann um das Strafmaß: um Lebenslänglich ohne jede Bewährung oder Todesstrafe, wobei der Richter eher Schiedsrichterfunktion hat. Er klärt, welches Material die Geschworenen sehen dürfen. Da kam ich als Sachverständiger ins Spiel, denn um die Todesstrafe durchzusetzen, mit der man sich in den USA als harter Strafverfolger richtiggehend schmückt, sollten die illegal beschafften deutschen Dokumente eingesetzt werden. Davon sollte die Jury nichts wissen – was natürlich Fiktion ist, denn Prozesse werden ja live im Fernsehen übertragen – und Geschworene sind doch auch nur Menschen. Die interessieren sich besonders für das, was sie nicht wissen dürfen.

Da mussten Sie also vor den Richter.

Ja – und da habe ich ausgeführt, dass der Zugang zum Beweismaterial illegal war und dass ein Rechtshilfeersuchen abgelehnt worden wäre. Grund eins: Nach deutschem Recht ist die Vorstrafe von Coday aus dem Register getilgt – so lange nach der Tat. Er konnte sich bereits zur Tatzeit einen unbescholtenen Mensch nennen. Grund zwei – und der geht ja auch in anderen Fällen gerade groß durch die Presse: Deutschland ist von seiner Verfassung her gehalten, Staaten keine Rechtshilfe zu gewähren, wenn dies dazu führt, dass Todesurteile gefällt oder vollstreckt werden. Das wissen die Amerikaner. Deshalb haben sie die Akte Coday in Deutschland anders beschafft.

Gegen den Bamberger Polizisten läuft ein Verfahren. Was droht ihm an Strafe?

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verwahrungsbruchs, das sind maximal zwei Jahre auf Bewährung.

Dieser Polizist ist ja quasi Ihr Gegenspieler. Er liefert Material, um Coday in die Todeszelle zu bringen – und Sie fliegen nach Florida, um sein Leben zu retten.

Ob dem Mann die Konsequenzen seines Handelns bewusst waren, weiß ich nicht. Ich hoffe für ihn, dass er es nicht wusste, sonst würde ich von der Staatsanwaltschaft in Bayern erwarten, dass sie hart durchgreift – schon um solche polizeiliche Kooperation in der Grauzone zu verhindern.

Sie sind da also als Lebensretter hingefahren ...

.... das klingt mir ein bisschen zu pathetisch ...

Wollen Sie sagen, dass Sie nur als Jurist dort waren, der aufgebracht war darüber, dass illegal Papiere beschafft wurden?

Nein. Die Todesstrafe lehne ich fundamental ab, und natürlich hat es mich aufgeregt, wie Rechtsschutzmechanismen gezielt umgangen wurden, um in den USA eine Todesstrafe begründen zu können. Als sachverständiger Zeuge bin ich aber gezwungen, die deutsche Rechtslage objektiv darzustellen. Da werde ich vereidigt. Insofern kann die eigene Anschauung schon kollidieren mit dem, was man gezwungen ist zu sagen. Ich hatte in diesem Fall Glück, weil sich meine Expertenaussage ganz mit meiner persönlichen Meinung deckt. Das deutsche Recht setzt für solche Fälle wichtige Schranken. Das sah auch der Richter so. Die Presse war übrigens überrascht. Da hatte niemand erwartet, dass eine Petitesse wie das deutsche Rechtshilferecht eine Rolle spielen würde, wenn es um dieTodesstrafe geht.

Und was bedeutet der konkrete Fall für Sie als Sachverständigen? Der Mann hat zwei Frauen, möglicherweise im Affekt, brutal umgebracht.Anders als in meiner sonstigen Funktion als Strafverteidiger hatte ich keinen persönlichen Kontakt zum Angeklagten, ich habe ihn nur einmal gegrüßt. Für mich standen andere Dinge im Mittelpunkt. Die Frage, wie der Hamburger Prozess zu nur 18 Monaten Strafverbüßung führen konnte, hat Sie nicht beschäftigt?Es gibt minderschwere Fälle, die mit solchen Urteilen enden. Da hat sich über längere Zeit, meist in Beziehungen, etwas aufgestaut und irgendwann flippt jemand aus. In Deutschland darf nur verurteilt werden, wem individuell Schuld zugerechnet werden kann. In Hamburg damals hat sogar die Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit Codays auf Freispruch plädiert. Das Gericht hat dennoch eine Strafe verhängt, die – für Außenstehende vielleicht wenig nachvollziehbar – auf „nur“ drei Jahre hinauslief. Nach der Hälfte wurde der Mann in die USA entlassen.Wie lange wurden Sie gehört? Acht Stunden mit Übersetzung, wobei ich immer wieder eingreifen musste, weil die Übersetzerin oft nicht genau traf, was ich sagen wollte. Dabei ist mir das Ausmaß von Übertragungsdefiziten klar geworden, die es in hiesigen Strafverfahren sicher genauso gibt. Waren Sie denn nun im Kreuzverhör?Dieser Begriff ist ja sehr klischeebeladen. Aber tatsächlich zog sich meine Befragung pingpongartig zwischen Anklage und Verteidigung hin – mit einem bewundernswert präsenten Richter. Bei ihm allein lag die Entscheidung, weswegen Gott sei Dank Fensterreden und Show-Effekte gering blieben. Die Jury war ja nicht dabei. Aber ich weiß, dass der Staatsanwalt den Geschworenen später ein großes Bild von der Ermordeten in einer Blutlache vorhielt und gefragt hat: „Soll der, der das gemacht hat, weiter leben dürfen?“ Amerikanische Kreuzverhöre – da denkt man sofort an Fragen unterhalb der Gürtellinie. Wie haben Sie das erlebt?Es war eine ungewohnt aggressive Atmosphäre. Der Staatsanwalt hat beispielsweise lange versucht nachzuweisen, dass ich nicht kompetent sei – was ihm nicht gelungen ist. Ich hatte die gesamte aktuelle Rechtssprechung und Literatur im Bereich Rechtshilfe und USA gelesen. Und wie bereitet man sich psychologisch vor?Sehr belastend war für mich, einem Angeklagten in die Augen zu blicken und zu wissen: Was ich jetzt sage, kann den Ausschlag geben dafür, dass er zum Tode verurteilt wird – oder nicht. Früher habe ich immer gesagt, ich könnte unter Todesstrafe keine Strafverteidigung machen. Ein Fall, wo die Verteidigung vielleicht nicht optimal gelaufen ist, wäre verheerend. Und nun kam ich plötzlich in eine Lage, wo meine Aussage ein ungeheures Gewicht hatte. Aber in dem Moment, wo man ins Mikrofon spricht, konzentriert man sich nur auf die Frage und die nächste Antwort. Die Verantwortung die man trägt, muss man ausblenden, sonst blockiert das. Der Angeklagte wurde zum Tode verurteilt, obwohl die deutschen Unterlagen im Prozess nicht verwendet werden durften.Ja, der Todesstrafengrund Vorstrafe war blockiert, die Anklage ist dann auf den Todesstrafengrund besondere Brutalität ausgewichen. Die Verteidigung hat dagegen gehalten, dass der Mandant psychisch krank ist. Der Angeklagte hat seine ehemalige Freundin mit 144 Hammerschlägen und Messerstichen getötet. Schließlich waren neun von zwölf Geschworenen für die Todesstrafe. Das war schon eine kalte Dusche, denn der Eindruck drängt sich auf, dass die Jury Kenntnis von der Vorstrafe hatte und deshalb unterschwellig das Brutalitätsargument höher bewertet hat. Ich vermute, dass die Jury oder der Richter zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, wenn es die Auseinandersetzung um die Vorstrafe nicht gegeben hätte. Was hätte dem Mann nach deutschem Recht gedroht?Lebenslänglich oder eine lange Freiheitsstrafe, wenn nicht aufverminderte Schuld erkannt worden wäre. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Gutachter hier auf volle Schuldfähigkeit erkannt hätte. Der Angeklagte hat doch nicht funktional gemordet – er ist richtig ausgerastet, er hat einen Menschen getötet, den er geliebt hat. Und wenn das Urteil in einem Revisionsverfahren bestätigt werden sollte, wird William Coday bis zur Hinrichtung so lange in der Zelle sitzen, wie er in Deutschland als Haftstrafe bekommen hätte. Grotesk. Fragen: Eva Rhode

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen