piwik no script img

Erinnerte Travestien

Autoreportage: Dietrich Kuhlbrodt liest heute im Alabama aus seinen Lebenserinnerungen

Wer mit „Stringenz“ gleich „Strangulation“ assoziiert, ist bei Dietrich Kuhlbrodt an der richtigen Adresse. Seine zahllosen Artikel, vornehmlich Filmkritiken, zu finden in Schnitt, epd Film, in Zeit, taz, junge Welt oder konkret, prägt von jeher ein hemmungslos anekdotischer und wild mäandernder Stil. Aus seinem Leben war da auch schon immer eine Menge zu erfahren. Ganz frische und eigens für die Veröffentlichung niedergeschriebene Erinnerungen des bald 70-Jährigen finden sich nun in seinem ersten eigenen Buch, aus dem er heute lesen wird. Genannt hat es der Verlag – soll‘s denn kein weit‘res geben? – Das Kuhlbrodtbuch.

Zu erfahren ist darin, wie sich die Leben als Hamburger Staats- und später Oberstaatsanwalt (in Sachen Verfolgung von Naziverbrechen), als Mitwirkender in zahlreichen Schlingensief-Filmen und -Theateraufführungen oder bei Lars von Trier, als Hochschul-Lehrbeauftragter, Schreiberling, Glatzen- und Uniformträger, Jurymitglied beim FSK oder beim Pornokaraoke übereinbringen lassen: nämlich gar nicht. Das militant vertretene Konzept stattdessen: eine Travestie der Identitäten.

In eine chronologische Reihenfolge gebracht werden wollen all diese Seinsweisen gar nicht, sortiert wird daher nach den Daten des Hinschreibens der Kapitel. Der Rest ist angenehmstes Chaos, zusammengehalten von schonungslosen Fragen an die eigene Geschichte und ihre Möglichkeitsbedingungen: eine sehr schöne Anti-Autobiographie. Christiane Müller-Lobeck

heute, 20.45 Uhr, AlabamaDietrich Kuhlbrodt, Das Kuhlbrodtbuch, Verbrecher Verlag, Berlin 2002, 250 S., 14 Euro; Das deutsche Kettensägenmassaker: 18. + 19.10., 23 Uhr, Alabama

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen