: Nicht noch aufwerten
Mörder des Lebensmittelhändlers Willy Dabelstein erneut vor Gericht: Der 20-Jährige wollte eine Geisel nehmen und aus der Haft fliehen
von ELKE SPANNER
Er wollte raus. Um jeden Preis. Vier Jahre waren um. Das ist die Hälfte. Schon. Erst. Christian L. plante seinen Ausbruch aus Hahnöfersand. Aus dem Jugendknast, in dem er einsitzt, weil er 1998 den Lebensmittelhändler Willy Dabelstein in Tonndorf ermordet hatte. Eine Wärterin wollte er als Geisel nehmen. Sie mit Rasierklingen und Stichwaffen bedrohen, um von der Gefängnisinsel in der Elbe türmen zu können. Der Plan flog auf, er hatte ihn einem Mitgefangenen anvertraut. Gestern stand Christian L. wegen „Verabredung zu einem Verbrechen“ vor dem Amtsgericht.
Die Öffentlichkeit wurde gestern vom Prozess ausgeschlossen. Das konnte die Vorsitzende Richterin entscheiden, weil Christian L. als 20-Jähriger im juristischen Sinne Heranwachsender und als solcher vor Gericht schutzwürdig ist. Die Richterin hat die Erfahrung gemacht, dass die Medienberichterstattung jugendliche Straftäter ermutige, sich mit ihren Taten zu brüsten: „Die jungen Leute fühlen sich dadurch unheimlich aufgewertet“, so ihre Begründung, warum sie eine ausführliche Berichterstattung mit Details aus dem Prozess verhindern wollte.
Christian L. gehört zu den bekanntesten Insassen von Hahnöfersand. Seine Tat hat damals nicht nur medial über Wochen hinweg Aufsehen erregt, sondern auch eine sehr emotionale Debatte um Jugendkriminalität eingeleitet – an deren vorläufigem Ende vom alten rot-grünen Senat zwei besonders gesicherte Unterkünfte für jugendliche Straftäter errichtet wurden.
Christian L. war 16 Jahre alt, als er den 73-jährigen Willy Dabelstein in dessen Tante-Emma-Laden ermordete. Am 29. Juni 1998 war er zusammen mit seinem Freund Patrick E. zur Mittagszeit in das kleine Geschäft in Tonndorf gekommen. Während der eine 220 Mark aus der Kasse des Lebensmittelhändlers nahm, stach der andere mit dem Messer auf diesen ein. Vor der Polizei gestanden sie nach der Festnahme den Mord. Sie hätten das Geschäft wenige Stunden zuvor entdeckt und beschlossen, es zu überfallen. Zuvor hätten sie sich noch Strumpfhosen zum Maskieren gekauft. Dann hätten sie vereinbart, Geld zu klauen und den Kaufmann, sollte er sich wehren, „abzustechen“. Im Dezember 1998 wurden sie vom Landgericht zu je acht Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Dass dieser Fall eine Diskussion um die Wiedereinführung geschlossener Heime für jugendliche Straftäter entfachte, liegt daran, dass die beiden Täter in einer Einrichtung für straffällige Jugendliche gelebt hatten, in der die Türen offen standen – obwohl die beiden ihr Leben weniger mit Hausaufgaben als mit Diebstählen, Einbrüchen und anderen Straftaten verbracht hatten. Obwohl noch Ermittlungen liefen, saßen sie nicht in Untersuchungshaft, sondern in dem Tonndorfer Heim. Das wurde nach dem Mord geschlossen.
Stattdessen eröffnete der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB) zwei Einrichtungen, in denen Jugendliche rund um die Uhr beaufsichtigt werden. Diese sollen nach den Plänen des jetzigen Senates wahrscheinlich zum 1. Dezember durch ein geschlossenes Heim abgelöst werden (Text rechts).
Der Prozess wird fortgesetzt.
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