: Das Mitbringsel-Archiv
Die Galerie im Park am ZKH Ost hat sich der Medienkunst verschrieben. Zur Zeit sammelt Kerstin Weiberg Geschichten von Ausstellungs-BesucherInnen: So entsteht ein interaktives Netzkunstwerk, das seine Brisanz allerdings nur andeutet
Wo das Internet ist, da mussauch Computer sein. Wobei streng genommen das Internet ja überhaupt nirgendwo ist. Aber wenn die Zugriffswerkzeuge aufs Nirgendwo fehlen, dann ist es definitiv abwesend, und für eine Netzkunstausstellung sind in der Galerie im Park tatsächlich auffallend wenige der grauen Rechenmaschinen installiert: Genaugenommen nur eine.
Statt Computer sind im Ausstellungsraum 108 schwarze Holzscheiben verteilt, in regelmäßigen Abständen auf dem Fußboden. Ein leeres Archiv hat die Berlinerin Kerstin Weiberg für die Galerie geschaffen, das von den BesucherInnen der Ausstellung „Harmlose Welt“ gefüllt werden soll. Zu dem Zweck sind sie angehalten, je ein Objekt mitzubringen, mit dem sie ein bestimmtes Gefühl verbinden, und es auf einer der Scheiben zu platzieren. Ein Foto des Gegenstandes wird dann mit seiner dazugehörigen Geschichte am einsamen Computer archiviert, die anderen Geschichten sind nachzulesen. Viel gibt es da noch nicht, aber innerhalb der nächsten drei Jahre soll eine umfangreiche Geschichten- und Bildersammlung entstehen. Das Kunstwerk ist die Plattform, die Künstlerin tritt dabei in den Hintergrund und hat auf die inhaltliche Füllung der Arbeit keinen Einfluss.
„Interaktiv“ nennt sich das, wenn die RezipientInnen an der Gestaltung einer Arbeit mitwirken – Markenzeichen der Internetkunst, die seit einem guten halben Jahrzehnt die Kunst um eine Sparte reicher macht. Das Aufkommen des neuen Mediums verband sich nicht nur auf ästhetischem Gebiet mit hohen Erwartungen: Endlich gebe es die Möglichkeit der gleichberechtigten Kommunikation innerhalb eines Mediums, in dem von verschiedenen Personen Seiten weiterentwickelt und verändert werden können. Mit der Verlinkung von Informationen, dem Hypertext, sind diese nicht mehr linear, sondern selbst netzwerkartig aufgebaut. Durch das Klicken auf Links innerhalb einer Seite würde man sich nicht mehr nach logischen Gesichtspunkten, sondern quasi assoziativ durch die gebotenen Informationen arbeiten. Ein durchgreifender Perspektivenwechsel, mit Auswirkungen auf allgemeine Kommunikationsstrukturen, auf Weltbild und Persönlichkeit?
Mittlerweile ist man auf den Boden zurückgekehrt: die Informationsflut scheint eher erdrückend als inspirierend, die meisten Links führen nicht annähernd in die Richtung, die man sich wünscht. Bleibt die Kunst, die sich nicht am praktischen Nutzen messen muss, sondern die gestalterischen Möglichkeiten des Mediums für sich verwenden kann. In den letzten Jahren sind viele Arbeiten entstanden, die nur im Internet stattfinden.
Die Ausstellbarkeit dieser Arbeiten hält sich natürlich in Grenzen. Dennoch hat sich Susanne Hinrichs, Kuratorin der Galerie, auf „Neue Medien“ spezialisiert. „Hier ist der einzige Ort in Bremen, an dem regelmäßig Netzkunst zu sehen ist“, sagt sie. Die Arbeit von Kerstin Weiberg zählt zu den sogenannten hybriden Netzkunstwerken, bei denen sowohl Internet als auch andere Medien zum Einsatz kommen. Ob die Welt, die ihre Arbeit darstellt, nun harmlos ist oder nicht, das bestimmen die teilnehmenden BesucherInnen mit den Objekten, die sie zur Ausstellung bringen. Und die Gefahr besteht tatsächlich angesichts der bisherigen Exponate: Viele Blumen, Blätter und Liebhaberexemplare, die mit „Spaß“, „Harmonie“ oder ähnlichen Attributen versehen und mit rosigen Kindheitserinnerungen verknüpft sind. Wenn die Welt tatsächlich so nichtssagend ist, wozu sie dann archivieren? Wie gut, dass es dann auch die Scheibe gibt, die scheinbar unmotiviert das Wort „Krieg“ mit einem Kinderbuch illustriert: „Wohin gehst Du, kleiner Eisbär?“: Ein wenig Assoziationsraum und angedeutete Brisanz, und ein Erfolgsgefühl stellt sich ein, wie manchmal beim Surfen im Netz: endlich eine Homepage, die mehr enthält als Urlaubs- oder Kindheitsgeschichten von fremden Leuten. Lene Wagner
Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Oktober, die Galerie ist mittwochs bis sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet
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