: Schlafzimmer, komplett, 230 Euro
Aus dem Möbel-Lager der Arbeit und Jugendwerkstätten Bremen GmbH ist ein Gebrauchtmöbel-Einrichtungshaus geworden. Hier sollen Bedürftige nicht wie Bittsteller, sondern wie Kunden behandelt werden
Der Ansturm war gewaltig. Als das Gebrauchtmöbel-Einrichtungshaus mit dem etwas sperrigen Titel „maa – Möbel auch anderes“ Mitte September Eröffnung feierte, waren binnen weniger Stunden sämtliche Ausstellungs-Stücke verkauft. Davon kann selbst der Möbel-Gigant IKEA nur träumen.
Ein großes Schild über dem Eingang weist auf das neue, etwas andere Möbelhaus hin. Auf dem flachen Dach flattern weiß-gelbe Fähnchen mit dem „maa“-Logo im Wind. Im Schaufenster Wohnzimmer-Romantik: Ein gemütlicher Ohrensessel und eine Stehlampe mit Fransen.
„Kann ich Ihnen helfen?“ – kaum ist man durch die gläserne Eingangstür hindurch, kommt auch schon ein Mitarbeiter hinter der Empfangs-Theke hervor. Eine gelbe Spur auf dem Fußboden führt durch die Möbel-Ausstellung. Vorbei an einer Bücher-Ecke und den Regalen mit Textilien und Porzellan, Wohnzimmer-, Schlafzimmer- und Küchenmöbeln. Die Auswahl ist bunt, geradezu zusammengewürfelt. „Eiche rustikal“ steht neben einer modernen schlanken Glas-Vitrine, das Brokat-Sofa mit türkis-goldenen Bezügen neben dem schlicht-weißen Regal.
Das etwas andere Möbelkaufhaus ist quasi ein Staatsbetrieb. Bereits seit Jahren versorgt die landeseigene „Arbeit und Jugendwerkstätten Bremen GmbH“ Sozialhilfe-Empfänger und Bedürftige mit Gebraucht-Möbeln. Die sind Spenden aus Wohnungsauflösungen oder von Umzügen übriggeblieben. Wer sich eine neue Couch kauft und die alte loswerden will, findet die Telefonnummer auf der Sperrmüllkarte. Etwa 4.500 Haushalte werden im Jahr angefahren, um Möbel abzuholen.
Doch obwohl die Möbel-Vergabe schon einige Jahre lief, war man lange Zeit selbst eher provisorisch eingerichtet. Auf 600 ehemaligen Fabrikhallen-Quadratmetern in Hemelingen drängten sich Sofas, Betten und Schränke. Schon länger suchten die Betreiber nach neuen Räumlichkeiten und sind nun fündig geworden. In Woltmershausen, wo früher Möbel Georgius ausstellte, haben die Gebrauchtmöbel nun ihren angemessenen Platz gefunden. Aus dem Möbel-Lager wurde ein Möbel-Haus.
Hier kann das eigens entwickelte Konzept voll verwirklicht werden: Weg von der schmuddeligen Lager-Atmosphäre, die von den Hilfebedürftigen auch als diskriminierend empfunden wurde. Statt Sozialhilfe-Empfänger zu ghettoisieren, will die „Arbeit und Jugendwerkstätten GmbH“ ihren Möbelverkauf öffnen und für andere Menschen mit knapper Kasse, wie Rentner und Alleinerziehende zugänglich machen. „Die einen bezahlen mit dem Kosten-Übernahme-Schein vom Amt für Soziales, die anderen bar“, erläutert Ulrike Scheffer, Leiterin der Einrichtung.
Die Preise liegen deutlich unter jenen in gewöhnlichen Einrichtungshäusern. Wo bekommt man schon eine Schrankwand mit Mahagoni-Furnier für 120, und eine komplette Schlafzimmer-Einrichtung mit Doppelbett, mehrtürigem Schrank, Kommode und Nachttischchen für schlappe 230 Euro? Wie in anderen Möbelhäusern, ist auch hier alles nach den einzelnen Wohnbereichen sortiert. „Wir versuchen, die Möbel so zu stellen, dass das eine Wohnlandschaft ergibt, ähnlich wie in anderen Möbelhäusern“, erklärt Mitarbeiter Ralf Ernst. Doch ganz lässt sich das natürlich nicht umsetzen. Auch wenn der Ansturm nicht jeden Tag so enorm ist wie am Eröffnungstag, müssen die Möbel nicht lange auf einen Käufer warten. Spuren dieser anhaltenden Nachfrage kann man überall im Ausstellungs-Raum finden: Kleine weiße Zettel sind mit Krepp-Klebeband an Schrankwänden, Regalen und Sofas befestigt. Darauf die Namen der Käufer mit Datum. „Krüger, 8.10.02“ steht dort oder etwa „Schrader, 9.10.02“. Kaum aufgestellt, ist ein Großteil der Möbel auch schon wieder verkauft.Unter solchen Umständen ist es schwer möglich, eine wirkliche Möbel-Ausstellung zu schaffen. Wann die nächste Schlafzimmer-Einrichtung gespendet wird und wie sie aussehen wird, kann niemand sagen. Die Ausstellung im „Möbel auch anderes“ ist ein laufend rotierendes Zufallsprodukt.
Anne Ruprecht
„maa“ liegt an der Woltmershauser Straße 104 bis106. Öffnungszeiten: Mo, Di, Do 8-12 und 13-17 Uhr; Mi 13-17 Uhr; Fr 8-13.30 Uhr. Samstags leider geschlossen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen