: Kölscher Kompromiss
Seit Monaten protestieren Künstler gegen den Abriss des Josef-Haubrich-Forums, in dem der renommierte Kölnische Kunstverein untergebracht war
von GISA FUNCK und SABINE OELZE
Sieben Uhr morgens ist es dunkel und kalt und viel zu früh für einen Montag. Über hundert Demonstranten, hauptsächlich Architekten, Filmleute und Künstler, haben sich vor dem Kölner Josef-Haubrich-Forum versammelt. Die Stimmung ist kämpferisch, geradezu euphorisch. Man trinkt Kaffee und trägt Plakate. Oft erprobte Rituale eines Widerstands, der sich seit gut einem halben Jahr rund um die Künstlerin Rosemarie Trockel gegen den Abriss von Kunstverein und Kunsthalle formiert hat. Ein Abriss, wohlgemerkt, den die Stadt nicht nur längst beschlossen hat, sondern der voll im Gang ist. Vor ein paar Tagen rollten Bagger an, um beide Gebäude zu „entkernen“, wie es euphemistisch im Bauarbeiterjargon heißt.
Für Trockels Initiative haben die meisten Kölner Kommunalpolitiker inzwischen bestenfalls Spott übrig. Der Fall ist abgehakt, die Papiere sind unterschrieben, die Gelder für den 60 Millionen Euro teuren Museumsneubau bewilligt, für den das Haubrich-Forum weichen soll. Und dass sie spät dran sind mit ihren Unmutsbekundungen, diesen Vorwurf kann man den Kölner Demonstranten durchaus machen. Über sechs Jahre ist es her, dass das geplante Supermuseum debattiert wurde, das künftig gleich vier Häuser unter seinem Dach vereinen soll. Denn viel zu lange leidet Köln schon unter Platzproblemen. Nicht genug damit, dass das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde dermaßen aus den Nähten platzt, dass man im alten Haus stets nur einen Bruchteil der Exponate zeigen konnte, während der große Rest in beständiger Gefahr des Rheinhochwassers im Keller vor sich hin dümpelt. Auch im Schnütgen-Museum stapeln sich mittelalterliche Holzskulpturen in Dreierreihen, sitzen die Besucher der angeschlossenen Bibliothek vor lauter Enge der Sekretärin fast auf dem Schoß.
Ein riesiges Kulturzentrum erschien den Ratsherren damals als angemessene Lösung. Zumal das Land ein Drittel der Kosten zuschießen wollte. Für Siegfried Gohr, ehemaliger Leiter des Museum Ludwig und der Kunsthalle, allerdings nur ein „typisch kölscher Kompromiss“, der die missliche Lage in Zukunft kaum verbessern wird. „Das Rautenstrauch-Joest-Museum wird in dieser neuen Schachtel genauso wenig glücklich wie am alten Standort“, prognostiziert der Ausstellungsfachmann düster, „die Depots müssen trotzdem ausgelagert werden!“
Tatsächlich fragt sich der Beobachter, wen der Neubau glücklich machen soll. Wie Gohr bezweifeln mittlerweile viele, dass sich das Gebäude überhaupt als Museum eignet. Daneben provoziert auch die Architektur, entworfen vom Braunschweiger Team Schneider und Sendelbach, mit ihrer glatten Ziegelfassade und der klotzigen Form regelmäßig Häme. „Wer will eigentlich in diesen Kunstpalästen ausstellen, etwa der Bürgermeister?!“, lässt Rosemarie Trockel den in Köln geborenen Hollywood-Schauspieler Udo Kier spöttisch in ihrer Filmdoku über den Künstlerprotest fragen.
Für Kasper König besitzt der Komplex gar den „Charme einer Barmer Ersatzkasse“. Der Leiter des Museums Ludwig und Hoffnungsträger der Kölner Kunstszene, der sich bisher eher zurückhaltend im Konflikt verhielt, bezog am Montagmorgen mit einem Protestbrief erstmals Position: „Wer A sagt, der muss nicht B sagen“, zitierte er Brecht, „er kann durchaus auch erkennen, dass A falsch war. Es wäre wunderbar, wenn Köln die Courage hätte, zu sagen: ‚Lass uns das noch mal überlegen!‘ “
Je aussichtsloser die Situation anmutet, desto mehr wächst der Widerstand gegen das neue Kulturzentrum. Mittlerweile haben 400 Kölner Kulturschaffende Königs Schreiben unterzeichnet, darunter Gerhard Richter, Sigmar Polke und Hubert Kiecol. Ihnen allen erscheint ein Neubau schon deshalb unvertretbar, weil ihm mit dem Kunstverein und der Kunsthalle zwei Geburtsorte der zeitgenössischen Kunst zum Opfer fallen würden. Hier fand ab 1968 der weltweit erste Kunstmarkt der Nachkriegszeit statt, hier stürmte Josef Beuys zwei Jahre später das Gebäude. Bis heute stellten fast alle namhaften Künstler der Gegenwart im Kunstverein aus. Daher kann auch der ehemalige Expo-Kurator Wilfried Dieckhoff nicht verstehen, dass Köln mit dem Abriss der heimischen Kunstszene das Wasser abgräbt als „einem der wenigen Kulturbereiche am Rhein, wo man überhaupt noch in der Ersten Liga mitspielt“. Längst haben er und seine Mitstreiter den Verdacht, dass die Stadtoberen nach dem Prinzip „Augen zu und durch!“ vorgehen. Hat man in der Domstadt in den letzten Jahren doch so viele Bauprojekte vom KölnTurm über das Weltstadtkaufhaus bis hin zum Coloneum in den Sand gesetzt, dass man sich nun schlecht einen weiteren Fehlschlag leisten kann.
Die Schmährufe am Montag galten von daher vor allem Oberbürgermeister Fritz Schramma. „Schramma, weg mit dem Hammer!“, skandierte die Menge aus Megafonen. Roderich Stumm aus dem Kulturdezernat, sozusagen Vertreter der Gegenseite vor Ort, gab sich dennoch gelassen: „Der Protest ist zwar emotional verständlich, aber die Bagger werden dadurch nicht gestoppt!“ Am kommenden Montag soll die Abrissbirne endgültig zuschlagen, und die Gegner blasen zu einem letzten Gefecht.
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