PDS-PARTEITAG: DIE GEFÜHLSSOZIALISTEN SIND AM ENDE: Auf dem Weg ins historische Nichts
Es ist ein faszinierendes soziales Erlebnis, einem Staat oder einer Partei beim Verschwinden zuschauen zu können. Fast nirgendwo sonst lernt man in so kurzer Zeit so viel über die Erschütterlichkeit gesellschaftlicher Gewissheiten und die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft. Viele der Genossen, die am Wochenende auf dem PDS-Parteitag in Gera saßen, hatten jetzt nach 1989 zum zweiten Mal dieses Vergnügen. Das ist ein Privileg. Die meisten von ihnen werden das natürlich nicht so empfinden. Sie werden das Schicksal der Partei des demokratischen Sozialismus sogar bezweifeln. Aber eben diese Ungläubigkeit gehört bei solchen historischen Ereignissen dazu. Viele der Genossen haben der SED sogar noch im Herbst 1989 eine Zukunft gegeben. Die Geschichte jedoch nimmt keine Rücksichten. Sie fällt ihr eigenes Urteil.
Natürlich behaupte jetzt niemand, Gabi Zimmer habe der PDS mit dem Parteitag in Gera das Grab geschaufelt. Dazu besitzt diese Frau gar nicht die historische Größe. Aber sie hat alles in ihrer Macht Stehende getan, der PDS ihre letzte Chance zu nehmen. Sie hat der Partei in Gera weisgemacht, es gebe einen Weg, der geradewegs zum Sozialismus führt und die Genossen brauchten für diesen Weg nichts als die Gewissheit, sich gut zu fühlen und die besseren Menschen zu sein. Dabei hat Zimmer auf dem Parteitag nicht einen einzigen Satz darüber verloren, was dieser Sozialismus will und wie man dorthin kommt.
Es spielt keine Rolle, ob man die Parteivorsitzende für eine Traditionalistin, eine Reformerin oder nur eine beinharte Funktionärin hält. Sie hat ihrer Partei ein gedankenfreies „Konzept“ des gefühlten Sozialismus verpasst. Das sagt alles. Sie führt die PDS mit ihrem Avantgardemodell geradewegs in die geistige Welt des Marxismus und der DDR zurück. Die Reformer um Dietmar Bartsch und Roland Claus wollten das genau Gegenteil: Die PDS endgültig als konkurrenzfähige linke Reformpartei in der demokratisch-pluralistischen Bundesrepublik zu etablieren. Die Reformpolitiker sind, auch durch eigene taktische Fehler, auf dem Parteitag in Gera vernichtend geschlagen worden. Die Partei hat keinen Platz mehr für sie. Es ist nur konsequent, dass jetzt die Orthodoxen und Traditionalisten die Führung in der PDS übernommen haben, und Gabi Zimmer ist eine Vorsitzende von ihren Gnaden. Gute Reise, kann man da nur wünschen, und: Viel Spaß beim Theoretisieren!
Das Schicksal der PDS ist auf kurz oder lang besiegelt. Daran ändert auch nichts die mögliche Variante, dass die Partei nach einer Reihe von Wahlniederlagen in den kommenden Jahren als ostdeutsche Sekte noch weitere zehn Jahre vor sich hin missioniert. Die Frage, ob die PDS regieren oder lieber opponieren soll, erledigt sich dann von ganz allein. Aber daran trägt Gabi Zimmer nicht die Hauptschuld. Verantwortlich dafür, dass Gera überhaupt zu einem Schicksalsparteitag werden konnte, sind Gregor Gysi, Lothar Bisky, Dietmar Bartsch und André Brie; sie bildeten die Führung der Partei in den 90er-Jahren. Sie waren die besten Köpfe, die die PDS je hatte, aber gerade sie haben es versäumt, den Bruch mit dem alten, aus der SED kommenden Apparat der Partei zu vollziehen. Sie allein wären politisch und moralisch dazu in der Lage gewesen. Aber Gysi, Bisky, Bartsch und Brie haben immer geglaubt, mit einem solchen radikalen Schritt den Gründungskonsens der PDS von 1989 zu verletzen, der darin bestand, Teile der alten DDR-Elite in die bundesdeutsche Gesellschaft zu führen. Sie haben aus Angst um ihren Machterhalt und die Mehrheiten in der Partei die konsequente Auseinandersetzung gescheut.
Nach einer Niederlage der Reformpolitiker auf dem Parteitag in Münster vor zweieinhalb Jahren, als die Genossen den Einsatz von Militär zur Herstellung von Frieden sogar im Einzelfall abgelehnt haben, traten Gysi und Bisky zurück. Die damals neu gewählte Parteivorsitzende Gabi Zimmer, die „Integrationstante“, wie sie verspottet wurde, war nur Ausdruck dieses Burgfriedens in der PDS. Diese Entscheidung des Jahres 2000 führte geradewegs in eine Führungskrise der Partei und über ein paar zu vernachlässigende Umwege auch zur Niederlage bei der Bundestagswahl 2002.
Die PDS verdankt ihre Energie und ihren moralischen Impuls einer einzigen Aufgabe: der Artikulation und Repräsentation der Ostdeutschen, insbesondere ihrer staatstragenden Klasse, bei der deutsch-deutschen Vereinigung. Indem sich die Partei in Gera auf die Gedankenwelt genau dieses absterbenden Milieus zurückgezogen hat, schlägt sie einen historischen Bogen zurück zu ihrem krisenhaften Anfang. Ihre Rolle als Friedenspartei und Trägerin sozialen Protests wird sie nicht mehr spielen können. Nichts kann deutlicher machen, dass sich die historische Mission der PDS erschöpft hat. JENS KÖNIG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen