berliner szenen Mensch und Möbel

Spätjahresputz

Meist werden Möbel nur als leblose Dinge angesehen. Man liebt sie wegen ihres Designs, man schätzt ihre Funktionalität, aber wie es tief in ihnen drinnen aussieht, will niemand so recht wissen. Die Freundschaft zwischen Mensch und Mobiliar ist bloß fadenscheinig, das Verhältnis lange schon gestört, das merkt man beim Putzen. Dann wird aus dem Besenschrank, der seit Jahren still seine Schuldigkeit getan hat, ein zorniges Gegenüber, das selbst dem härtesten Putzmittel widersteht. Nicht einmal mit Meister Proper lässt sich der Fettfilm auf den oberen Regalbrettern aus gemasertem Holzimitat entfernen, und auch die vormals weißen Türen sind von einer grauen Schicht überzogen, die kein Wischlappen mehr zu lösen vermag. Stundenlang reibt man verzweifelt auf der Stelle, gießt noch ein wenig Reinigungsflüssigkeit nach, trägt schließlich Ata pur auf.

Doch all diese Bemühungen machen die Oberflächen nicht sauber, sondern nur noch verschmierter. Verdutzt schaut man sich das derangierte Stück derweil zum ersten Mal genauer an: die Scharniere, der Türknauf, die mit Klammern notdürftig festgetackerte Rückwand aus Pressspan mit grellem Blumenmuster drauf. Bislang stand das gute Stück unbeachtet in der Küche, brachte Ordnung zwischen die Schuhkremtuben, Polyboy-Flaschen und Naturhaarbürsten. Jetzt aber beginnt man es zu hassen – verdammter Dreck, geh endlich ab. Schließlich die rettende Idee: Wozu steht das Monstrum aus den Siebzigerjahren überhaupt in der Küche? Einen Besenschrank braucht doch eh kein Mensch. Erleichtert wird der Lappen in das siffige Seifenwasser geworfen, die Prozedur hat ein Ende. Nächste Woche wandert das Ding auf den Sperrmüll, das ist sicher. HARALD FRICKE