: Atomsturm im Wasserglas
Sechs Landesverbände von Bündnis 90/Grüne wollen auf dem Parteitag in Bremen die längere Laufzeit für das AKW Obrigheim ablehnen. Sie fordern die sofortige Stilllegung des alten AKW. Die rot-grüne Koalition wollen sie damit jedoch nicht gefährden
aus Frankfurt K.-P. KLINGELSCHMITT
Beim Parteitag in Bremen wird es unter den grünen Landesverbänden zum Thema Obrigheim einen Aufschrei geben – aber der Aufstand wird ausbleiben. Insgesamt sechs Landesverbände haben sich gestern gegen die Verlängerung der Laufzeit für das AKW in Obrigheim um zwei Jahre ausgesprochen. Die Vertreter aus Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben sich auf einen Antrag geeinigt, in dem die sofortige Stilllegung von Obrigheim gefordert wird und Umweltminister Trittin zu Nachverhandlungen aufgerufen wird. „Wir halten Trittins Entscheidung für falsch; wir erwarten, dass sie nicht umgesetzt wird“, sagte etwa der Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, Andreas Braun. Eine Verlängerung der Laufzeit für den ältesten Atommeiler der Republik um einige Monate wäre noch hinnehmbar gewesen, so Braun weiter. Aber dass Obrigheim jetzt noch bis 2005 am Netz bleiben dürfe, sei „nicht akzeptabel“. Die Partei stehe schließlich in der Pflicht gegenüber ihren Wählern: „Wir schlucken nicht alles, was in Berlin beschlossen wurde.“ Mit der Ausnahme für Obrigheim würde der Atomkonsens generell unglaubwürdig.
Auch in anderen Landesverbänden befürchten nicht nur passionierte Atomkraftgegner, dass die im Atomkonsens festgeschriebenen Restlaufzeiten der AKWs bald zur Disposition stehen könnten – falls der Kanzler wieder einmal mit dem Vorstandsvorsitzenden eines Energiegiganten essen gehen sollte.
So forderte beispielsweise die Fraktionsvorsitzende im Landtag von Rheinland-Pfalz, Ise Thomas, die „ökologisch orientierten Kräfte in der SPD“ auf, Druck auf den Kanzler auszuüben, um die Umsetzung des Atomkonsenses mit zu verteidigen, denn: „Wenn die Atomwirtschaft jetzt mit Obrigheim durchkommt, besteht die Gefahr, dass der Ausstieg schrittweise wieder aufgegeben wird.“
Der Unmut in der Partei ist groß. Auch die Grünen in Bremen, die am Wochenende den Bundesparteitag ausrichten, auf dem auch die Laufzeitverlängerung für Obrigheim von den Delegierten abgesegnet werden soll, sind „sehr verärgert“. Die Bremer fordern unverdrossen die Stilllegung des AKW „im Frühjahr 2003 – entsprechend den Absprachen im Atomkonsens“. Dass es krachen wird auf dem Parteitag, weiß auch der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Reinhard Loske. Die Zustimmung zum Koalitionsvertrag sieht er aber „nicht gefährdet“. Denn die Laufzeitverlängerung für Obrigheim sei nicht Bestandteil des Koalitionsvertrages, sondern eine „Entscheidung der alten Bundesregierung“.
Auch die Landesverbände betonen, an der Frage solle die Koalition nicht scheitern. Das sei „völlig absurd“, hieß es. Die Fraktionsvorsitzende aus Hannover, Rebecca Harms, nannte die Verlängerung eine „bittere Erfahrung“, über die man sich aber nicht aus der Koalition zurückziehen könne. Platze das rot-grüne Bündnis, sei nämlich garantiert, „dass kein Atomkraftwerk vom Netz geht“.
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