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Verwirrte, von Licht umklammert

Durch und durch bewusste Märchenfiguren, die sich endlich der Realität stellen: Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen. Der Tod und das Mädchen I-III“ werden im Malersaal uraufgeführt

Mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Trilogie über Märchenfiguren und Frauenschicksale darf Laurent Chétouane – nach der Inszenierung von Sarah Kanes Psychose 4.48 – im Malersaal des Schauspielhauses wieder seine Vorliebe für sprachstarke Stücke beweisen. taz hamburg sprach mit dem Regisseur.

taz hamburg: Jelinek beschreibt Schneewittchen im ersten Teil als „riesige, popanzartige Figur, die zur Gänze aus Wolle gestrickt und dann ausgestopft ist“. Wie vermeiden Sie es, dass Jelineks Sprache von Bildern übertönt wird?

Laurent Chétouane: Stimmt, man kann „Prinzessinnen“ nicht auf einer Geschichte aufbauen. Es geht bei Jelinek immer um die Stimme: Wer spricht? Und wenn man das in eine Handlung oder verschiedene Stimmen zerlegen will, tötet man den Text. Denn der lebt von der Offenheit: ich kann diesen Satz so oder so sprechen. Bei mir macht eine Figur also vielleicht nur ein paar Schritte. Oder sie steht auf. Normalerweise sprechen die SchauspielerInnen ihren Text ja über eine Handlung. In meiner Inszenierung dürfen sie sich kaum bewegen.

Die Märchenfiguren sind mit klassischen Fragen verbunden: Schneewittchen mit Wahrheitssuche, Dornröschen mit Schönheit ...

Nein, Schneewittchen steht in der ersten Szene für Wahrheitssuche, Tod und Schönheit.

Und in der zweiten?

Bei Dornröschen geht es um die Liebe und das Sein. Im dritten Teil über Rosamunde tritt dann Jelinek persönlich auf, gespielt von Marlen Diekhoff. Da geht es um das Verhältnis der Künstlerin Jelinek zur Welt.

Die Figuren sind allesamt Frauen, die ihr (Märchen-)Schicksal bereits kennen.

Stimmt. Auf der Bühne hat das Märchen längst stattgefunden. Man hört, wie Schneewittchen über ihr Figurendasein reflektiert. Ihr Kostüm entpuppt sich als Maske, in der ein Mensch steckt. Ich will, dass die SchauspielerInnen auf der Bühne absolut präsent sind. So, wie Jelinek von SchauspielerInnen verlangt, dass sie jeden Satz, den sie sprechen, auch wirklich denken.

Und was sagen sie?

Man hört Jelinek über sich selbst, als Frau, nachdenken. Gedanklich begeben sich die Figuren in eine Situation, die sie begreifen wollen (als sie wachgeküsst werden) und reagieren ganz natürlich: mit romantischen Gefühlen, Wut und Affekt. Aber sie stellen sich der Situation, genauso, wie Fulvio es in der dritten Szene verlangt: „Nein, wende den Blick nicht ab, ergib dich doch bitte der Situation, die sich da neulich ergeben hat, in dieser Bar, wo das Licht sich ein bisschen wehmütig an Verwirrte wie dich geklammert hat.“ Was braucht man da noch Bühnenhandlung, das ist doch alles da!

Interview: CHRISTIAN T. SCHÖN

Voraufführung: Sonntag, 20.10., 20 Uhr. Premiere: Dienstag, 22.10., 20 Uhr

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