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Zur Größe verdammt

Mit wenig weltmeisterlichem, aber sehr vizeweltmeisterlichem Fußball besiegt das deutscheTeam die Färöer Inseln 2:1 und kämpft tapfer gegen die Geringschätzung von Kickerzwergen

aus Hannover MATTI LIESKE

Dass aus einem Fußballzwerg durchaus einmal eine ganz passable Fußballnation werden kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der deutschen Nationalmannschaft. Im Jahre 1909 spielte diese gegen England, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie vor dem Match einige englische Alt-Internationale in den Gazetten der Fleet Street forderten, dass man diese frechen Krauts, die neben dem Fußballspiel doch tatsächlich noch Berufe ausübten wie Dekorateur oder Schornsteinfeger, mindestens zweistellig aus Oxford heimschicken müsste. Bestimmt war das Geschrei groß, als dann doch nur ein 9:0 heraussprang. Nur drei Jahre später gewannen die Deutschen mit 16:0 gegen Russland – Karl-Heinz Rummenigge wäre begeistert gewesen.

Nicht so begeistert waren die aktuellen deutschen Nationalspieler und ihr Teamchef Rudi Völler vom vorlauten Vizepräsidenten der Münchner Bayern. Vor dem EM-Qualifikationsmatch gegen die Färöer Inseln in Hannover hatte Rummenigge „sechs, acht Stück“ gegen die Nordmannen gefordert, eine Torquote, die er selbst mit dem DFB-Team in 95 Länderspielen immerhin viermal erreicht hatte, vorzugsweise gegen Albanien und Malta. „Ja, die älteren Spieler“, grinste der Däne Henrik Larsen, ebenfalls ein älterer Spieler und inzwischen Coach der Färöer Inseln, nach dem mühsamen 2:1-Sieg der Deutschen, „das sagen die immer, wenn die Großen gegen die Kleinen spielen. Aber so geht das nicht mehr heute.“

Dabei hatte alles optimal begonnen für die Gastgeber. Schon in der ersten Minute bewies Michael Ballack seine Ausnahmestellung im Team, als er einen hohen Ball von Schneider mit dem Kopf exakt in den Lauf von Jancker verlängerte. Der Münchner wurde segensreich gefoult, bevor er die Chance vergeben konnte, und Ballack traf per Elfmeter zum 1:0. „Da dachte ich, Rummenigge hat Recht“, schmunzelte Larsen später.

Das System Ballack

Doch die Mannschaft des Dänen zeigte sich erstaunlich wenig geschockt, hielt fortan den Angriffen weitgehend stand und versuchte sich an eigenen Spielzügen, was Ballack anerkennend vermerkte: „Sie haben immer versucht, hinten rauszuspielen.“ Das deutsche Team hingegen werkelte nach bewährtem Muster: ohne überraschende Ideen, mit Schwergewicht auf hohen Flanken, in der Defensive stellenweise wacklig. Wenn es ein System gibt, dann heißt das Ballack. So ziemlich alles, was er macht, ist gut, was nicht er macht, ist nicht so gut. Auf diese Weise wurde man immerhin Vizeweltmeister, in Hannover zeigte sich, wie hilfreich es war, dass das Turnier im fernen Asien und nicht in Deutschland stattfand. Das 1:1 der Färöer Inseln durch ein Eigentor von Friedrich kurz vor der Halbzeit quittierte das Publikum schon höhnisch mit „Zugabe“-Rufen, schickte die Spieler mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Pause und verabschiedete sie auch auf diese Weise, als das 2:1 nach Kloses Kopfballtor (59.) glücklich unter Dach und Fach war.

Rudi Völler, der bei den Seinen die „Leidenschaft“ vermisste, fand das in Ordnung. „Geduldig“ seien die Zuschauer „bis zu einem gewissen Punkt“ gewesen, mit dem Unmut müsse man leben. Ohnehin sei es ja klar gewesen, dass man gegen einen solchen Gegner nie Lob ernten könne und dass man „auf die Nuss bekommt, wenn man nicht hoch gewinnt“. Womit wir wieder bei Karl-Heinz Rummenigge wäre, für den Rudi Völler sogar Verständnis hatte: „Wenn ich nicht hier säße, würde ich ja auch so reden.“

Michael Ballack aber nicht. Der Bayern-Spieler kämpfte tapfer für die Ehre der Fußballzwerge. „Da machen Sie sie schon wieder lächerlich“, schimpfte er, als ein Fragesteller einmal mehr den Sermon von den Schafhirten und Fischfängern herunterbetete. Der Gegner sei im Vorfeld „sehr schwachgeredet“ worden, jetzt habe man gesehen, „dass die richtig gut Fußball spielen können“. Aber natürlich wusste auch Ballack, dass die ansprechende Leistung der Inselbewohner sein Team genauso wenig vor ätzender Kritik retten würde wie die vor allem in der ersten Halbzeit von ihm initiierten und vorzugsweise von Jancker vergebenen Torchancen.

Schallplatte mit Sprung

Das Hauptproblem des deutschen Teams ist die Bürde der Vizeweltmeisterschaft und die damit verbundene Erwartungshaltung, welche dem tatsächlichen Leistungsvermögen in keiner Weise entspricht. „Du bist dazu verdammt, attraktiv zu spielen und hoch zu gewinnen“, weiß Völler. Darum wiederholt er im Stile einer Schallplatte mit Sprung unaufhörlich, dass die WM vorbei sei und „wir bei null anfangen“. Also ungefähr dort, wo man aufhörte, als die letzte WM-Qualifikation nur mit Ach und Krach geschafft wurde. Für den Realisten Völler standen denn auch die sechs Punkte im Vordergrund, die in den ersten beiden EM-Qualifikationsspielen erlangt wurden. Damit geht es den Deutschen besser als manch anderem vermeintlich Großen, etwa Italien oder England. „Die anderen Ergebnisse werten unseres natürlich riesig auf“, meinte Michael Ballack schelmisch. Und wenn Rummenigge trotzdem noch meckern sollte, kann er ihn ja zum Beispiel an den 16. Juni 1982 erinnern. Da verlor das ruhmreiche DFB-Team in Gijón mit Rummenigge 1:2 gegen Algerien, einen Fußballzwerg par excellence.

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