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Noch mal vier Jahre Winter

von HEIKE HAARHOFF

Bis 4 Uhr morgens hat Burkhard Woelki eine Hand voll Wirtschaftsjournalisten durch Berliner Kneipen und durch unternehmsstrategische Denkkorridore geleitet, sich anschließend zwei, drei Stunden schnellen Schlaf gegönnt, um noch vor der Frühbesprechung bereits wieder im Büro der Berlinwasser zu sein, der halbstaatlichen Holding, deren Unternehmenssprecher er jetzt ist. Das Haar zu kurz für strubbeliges Verrätertum, das Tuch zu edel für Knautschfalten, der Kaffee zu stark, als dass der Kampf gegen die Müdigkeit fehlschlagen könnte, so sitzt er nachmittags danach im Café, spricht und raucht, beschwingt und aufgekratzt. So wie einer beschwingt und aufgekratzt spricht und raucht, der sich plötzlich an seine alten, großen Zeiten erinnert. So als durchlebe er sie gerade noch einmal, gerafft in einem kurzen, kostbaren Moment.

Denn die Nacht war ja ein bisschen wie früher: in kleinen Zirkeln auf höchster Wachsamkeitsstufe eigeninteressengesteuerte Informationen und Gerüchte streuen. Es war eine Ausnahme in seinem Alltag als Unternehmenssprecher der Wasserbetriebe, und Burkhard Woelki hat sie genossen: „Die Wirtschaft geht in der Regel nicht so locker mit Nachrichten in der Presse um. Politiker, das weiß ich von früher, sind da anders, selbst wenn sie mal schlecht wegkommen, sie stehen einfach häufiger im Fokus der Öffentlichkeit.“

Früher. Als Burkhard Woelki es mit Opernintendanten, Schauspieldirektoren oder auch Kunstpädagogikprofessoren zu tun hatte, besorgte er ihnen Termine bei Entscheidern oder auch nicht, lenkte ihre Förderbitten in Erfolg versprechende Bahnen oder in die Sackgasse, lancierte Informationen an Multiplikatoren und managte ansonsten als Büroleiter einen Berliner CDU-Kultursenator namens Peter Radunski durch den Tag. Aus dem Hintergrund beeinflusste er Berlins Kulturpolitik, wie es ihm gefiel. Woelki sagt: „Politik ist Thrill.“

Er könnte auch sagen: Ich will zurück. Trotz des Dienstwagens und des fast doppelten Gehalts. Trotz der Sekretärin, die, wenn er ein neues Handy braucht, nicht Verwaltungsdurchschläge in fünffacher Ausfertigung beantwortet haben will, sondern nur eine Frage: Welches?

Stoiber, Stölzl – es juckte ihn

Und trotzdem. Es hat in seinem Kopf rumort, vor der Wahl. Stoiber hatte Christoph Stölzl in sein Kompetenzteam berufen, der Berliner wäre Kulturstaatsminister einer unionsgeführten Bundesregierung geworden. Stölzl. Er hatte Woelki schon mal ein Angebot gemacht, damals, als er Kultursenator des Landes Berlin wurde, als Nach-Nachfolger Radunskis. Aber irgendwer funkte dazwischen, Woelki mag nicht darüber reden, es tut auch nichts zur Sache, der Deal kam nicht zustande, und er hatte ohnehin gerade bei der Berlinwasser unterschrieben. Vom Büroleiter zum Unternehmenssprecher. Man kann das machen für eine gewisse Zeit.

Dann wurde Berlin rot-rot, der Bund war bereits rot-grün, und Woelki ahnte, dass er sich in der Wirtschaft bis auf weiteres einrichten sollte: Er hat immer nur CDU-Herren gedient. Verglichen damit zählen seine Ideen, seine Erfahrung, seine Parteilosigkeit wenig. Aber jetzt?

Stölzl. Gut möglich, dass er Woelki wieder gefragt hätte. Und Woelki hat es in den Fingern gejuckt. Aufzuräumen mit dem Ballast von Tarifsystemen. Sich anzulegen mit Orchester- und Schauspielergewerkschaften, Künstler an ihre gesamtpolitische Verantwortung zu erinnern, anstatt ihr ewiges Murren gegen Sparpläne zu bestärken.

Woelki ist Jurist. Juristen denken nüchtern. Er ist jetzt 40. Ein gutes, ein perfektes Alter. Er weiß, aus seinem Wiedereinstieg wird nichts. Die Union hat verloren. Woelki wird in der Wirtschaft bleiben. Einen Vorteil immerhin hat die: „So viele fachlich qualifizierte Leute wegzuwerfen, kaltzustellen, das würde nach einem Konzernwechsel in der Wirtschaft nicht passieren.“

In der Politik gelten andere Gesetze. Nach 16-jähriger Kohl-Herrschaft stand die rot-grüne Regierung bei ihrem Amtsantritt vor vier Jahren vor Aufräumarbeiten. Die neuen Minister und Staatsekretäre wollten auf keinen Fall nur mit Fachbeamten und Beratern zusammenarbeiten, die ihre konservativen Vorgänger eingestellt und gefördert hatten. Es wurde versetzt, verabschiedet, umverteilt – eine Personalpolitik unter anderen politischen Vorzeichen. Entsprechend hoch ist heute die Zahl der Schläfer, der Überwinterer, der heimlichen CDU-Getreuen, wie immer man die Menschen nennen will, deren Einfluss auf der Fachebene 1998 gekappt wurde und die sich vier Jahre später – neue Wahl, neue Chance – ihres Comebacks, ihres Karrieresprungs greifbar nahe wähnten. Oder zumindest nichts dagegen gehabt hätten, wenn alter Umgang und Stil zurückgekehrt wären. Nur öffentlich erzählen mögen das die wenigsten. Wer ihnen absolute Vertraulichkeit zusichert, erfährt immerhin, dass die Vorsicht auf die Furcht gründet, wegen eines Zeitungsinterviews nun erst recht nicht befördert zu werden oder in Konflikt mit der Loyalität zu geraten: Davon, dass ein Beamter seinen Job in erster Linie für die Bundesrepublik tut, ist dann die Rede und davon, dass er nach Wahlniederlagen gut daran tut, die Eitelkeiten zurückzustellen und das Neue als externes Geschehen wahrzunehmen. Um nicht Gefahr zu laufen, am Ende wie ein alternder Liebhaber ausgelacht zu werden, der sich trotz Hexenschusses für unwiderstehlich hält.

Was aber, wenn man die Stufe noch gar nicht erreicht hat, von der freier Fall überhaupt erst möglich ist? Wenn schlicht der Weg dorthin verbaut ist?

Bonn. Die Bushaltestelle heißt immer noch „Arbeits- und Ernährungs-Ministerium“. Und auch die Sachlichkeit des Ministerialdirigenten Jörg Wendisch steht für Kontinuität. Obwohl sich seine Arbeitsstelle unter wechselnden Chefs erst Landwirtschafts- und seit der Übernahme durch die Grüne Renate Künast Verbraucherschutzministerium nennt. Der Schwerpunkt des Interesses mag sich offiziell verlagert haben, Jörg Wendisch an seinem Unterabteilungsleiterschreibtisch bleibt. „Seit 1980 bin ich zuständig für den Fisch“, sagt er. Aus jeder Silbe schwingt Trotz mit: Mir kann keiner was. „Seit 1980“, sagt er noch einmal, „mit Unterbrechung.“ Aber über die redet er nicht, es geht hier um Fischerei, um EU-Fangquoten, um widerstreitende Interessen zwischen Fischern, die ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, Verbraucher- und Verarbeitungsindustrie, die auf gesunde Bestände angewiesen sind, und Experten, die die Meere und ihre Artenvielfalt bedroht wissen und sich mit ihren Forderungen nach Bestandserhalt unbeliebt machen. Experten wie Jörg Wendisch: „Die Grundposition Deutschlands im Bereich der Fischerei hat sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert.“ Schon immer hätten neben den Interessen der Fischer auch die der Verarbeiter und Verbraucher eine entscheidende Rolle gespielt. Wieder dieser Trotz in der Stimme. Als müsse er klarstellen, dass nicht alles, was sich die grüne Ministerin zu Eigen macht, von ihr stammt.

Frau Künast ist Verbraucherin

Er referiert über den Fisch, 15 Minuten, 20 Minuten, vermeidet jede persönliche Bewertung der Veränderungen seit Rot-Grün. Beamte sind gegenüber ihren Vorgesetzten zur Loyalität verpflichtet. Jörg Wendisch hatte viel Zeit, die Regeln des Systems beherrschen zu lernen.

„Ein ordentlicher Mann“ sei „dieser Wendisch“, sagt der CDU-Landwirtschaftspolitiker Peter Harry Carstensen, den Stoiber im Fall seines Siegs zum Minister machen wollte. Einer, der schon in den 80er-Jahren gute Arbeit gemacht habe, als enger Mitarbeiter eines damaligen Staatssekretärs unter CSU-Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle. Das ist die Zeit, die Wendisch heute als Unterbrechung umschreibt. Ein Kollege aus dem Ministerium sagt, Wendisch habe das Zeug zum Abteilungsleiter und mehr. Den Rest lässt er offen.

Jörg Wendisch redet weiter vom Fisch. Spielt es denn für ihn gar keine Rolle, ob die CDU, die SPD oder die Grünen den Minister stellen? Gibt es keine fachlichen Verbesserungsvorschläge? Jörg Wendisch öffnet die Hände, spreizt die Finger weit auseinander, Antworten auf solche Fragen ziemen sich nicht für einen Beamten. Frau Künast, erzählt er, sei ja quasi über Nacht Ministerin geworden, als Außenseiterin, ohne Erfahrung in der Landwirtschaft, Futtermittelherstellung, bäuerlichen Verbandsarbeit, ohne all das Wissen, über das ihre Vorgänger aus eigener Anschauung verfügten. Jörg Wendisch lächelt freundlich, bevor er die gespreizten Finger zusammenschnappen lässt. „Frau Künast ist Verbraucherin. Diesen Teil kann sie von ihrer Erfahrung abdecken.“

Erfahrung. Wenn es nur darum ginge, sagt Wolf-Dieter Krebs im fränkischen Erlangen. Er ist hier Kernphysiker bei der Framatome ANP, und Erfahrung hat er mit seinen 60 Jahren genug. Der prestigeträchtige European Pressure Reactor EPR und der SWR 1000, ein Siedewasserreaktor mit guten Marktchancen, wurden unter seiner Federführung entwickelt. Bis ein grüner Überzeugungstäter Umweltminister wurde und mal eben ein Neubauverbot für Atomanlagen verhängte. Die Framatome beschloss, den EPR nur noch in kleineren Teams weiterzuentwickeln. Und Wolf-Dieter Krebs, der Reaktorbauer, wurde Integrationsmanager, zuständig für Beschäftigte unterschiedlicher Nationalität.

Der Reaktorforscher flucht nicht

Er ist deshalb nicht verbittert. Dafür fehlen Wolf-Dieter Krebs der Hang zur Rechthaberei, der Glaube an Verschwörungstheorien, das ideologische Schmalspurdenken. Als ihm ein Fahrradfahrer auf dem Weg zu seinem Büro die Vorfahrt nimmt, hupt und flucht er nicht, sondern legt schnell den Rückwärtsgang ein. Hauptsache, es gibt keinen Unfall. Wolf-Dieter Krebs verfolgt langfristige Interessen, „volkswirtschaftliche“, wie er sagt. Die treiben ihn um, nicht die Frage nach seiner Karriere. Schließlich ist er Physiker, als solcher Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft e. V. Die legt Wert darauf, sich zwar unter wissenschaftlichen Aspekten „für die Fortentwicklung der friedlichen Kernenergienutzung“ einzusetzen, aber keine „Industrielobby“ zu sein.

„Schon in der Gentechnik hatten wir den Anschluss verpasst“, sagt Krebs. Erst habe man sie nicht gewollt, dann seien die Wissenschaftler ins Ausland abgewandert, um sich schließlich für viel Geld zurückholen zu lassen: Deutschland hatte spät eingesehen, dass Forschung nötig ist, um international mitzureden, und sei es nur, um strenge Missbrauchs- und Sicherheitskontrollen durchzusetzen. „Wie viel das gekostet hat, darüber redet keiner“, sagt Krebs, und trotzdem drohe sich das Szenario in der Atomenergie zu wiederholen. „Mit der Aufgabe der Forschungsförderung, wie sie im neuen Koalitionsvertrag steht, wird sich die kostenintensive Isolation Deutschlands in der Energiepolitik noch verstärken.“ Das ist es, was ihn wurmt, die Verlogenheit darüber, was wissenschaftliche Unabhängigkeit sei.

Vier Jahre Rückstand sind in der Wissenschaft schwer aufzuholen, acht Jahre eine Katastrophe. Aber Wolf-Dieter Krebs hofft, dass Deutschland irgendwann doch noch zur richtigen Energiepolitik zurückkehrt. Vielleicht ist irgendwann 2006.

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