DIE GRÜNEN SOLLTEN SICH JETZT SCHNELL FÄHIGE VORSITZENDE SUCHEN: Trocknet eure Tränen
Claudia Roth und Fritz Kuhn fühlten sich durch die Sperrrminorität abgestraft, die auf dem jüngsten Parteitag der Bündnisgrünen verhinderte, dass die Trennung von Parteiamt und Abgeordnetenmandat endlich beseitigt wurde. Von der Mehrheit der grünen Aktivisten wie von der publizistischen Begleitmusik wird der Trennungsbeschluss als Atavismus angesehen, als Überbleibsel aus der Gründerzeit, wo Misstrauen gegen die Führungsfiguren und die parlamentarische Arbeit noch Konsens war. Also auf den Misthaufen damit, dachten die Spitzenkräfte der Grünen. Schließlich gibt es ja auch schädliche Traditionen – zum Beispiel den Kannibalismus (gegen die eigene Führung).
So zu argumentieren erweist sich als ebenso verführerisch wie falsch. Hätte es die Trennung von Amt und Mandat nie gegeben, die Grünen wären gut beraten, sie jetzt einzuführen und zwar aus drei Gründen: Erstens bedarf es dringend einer programmatischen Arbeit, die sich strategisch bei einer Führung konzentrieren muss, die von Koalitionsrücksichten ebenso frei ist wie vom laufenden Termindruck durch Wahlen. Keinesfalls darf diese Aufgabe auf Denk-Reservate wie die Heinrich-Böll-Stiftung abgeschoben werden.
Zweitens stehen die Bündnisgrünen vor der Aufgabe, so etwas wie dialektische Musik ins Verhältnis zu den außerparlamentarischen Bewegungen zu bringen. Das ist kein Plädoyer für die gespaltene Zunge zwischen Fraktion und Partei, sondern für den notwendigen Spielraum. Keinesfalls wären die bündnisgrünen Parlamentarier dadurch verdammt, zum Annex sozialer Bewegungen zu degenerieren, wie Abgeordnete zu Zeiten der verblichenen dritten Internationale.
Drittens können die Grünen nicht darauf hoffen, als schierer Wahlverein zu überleben. Ihre Mitgliederbasis ist im Westen schwach und überaltert, im Osten fast inexistent. Parteiaufbau heißt, ein steiniges Feld zu beackern, wenn man den zunehmenden Unwillen gerade der Jungen in Rechnung stellt, sich längerfristig zu engagieren, noch dazu in einer Partei. Eine in die Parlamentsarbeit eingebundene Parteiführung kann sie nicht leisten.
Was, zum Teufel, ist eigentlich so verführerisch am Parlamentarierleben? Die Aufmerksamkeit der Medien? Sie gilt immer nur wenigen. Die politisch „gestalterische“ Arbeit? Sie definiert sich durch die frustrierende Distanz zwischen In- und Output. Versorgungsansprüche? Die gewährt auch ein Funktionärsgehalt. Trocknet die Tränen der Enttäuschung und schaut euch nach fähigen Leuten für die Parteiführung um! Noch gibt es sie.
CHRISTIAN SEMLER
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