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Das Nadelöhr zur Uni

Ohne Abitur kommt man hierzulande schwer auf die Hochschule. Mit der Qualifikation zum Studium hat das aber wenig zu tun. In anderen Ländern wird vorgemacht, dass es auch anders geht

von TILMAN VON ROHDEN

Draußen vor der Tür. So fühlen sich viele beruflich Hochqualifizierte, wenn sie ihre Kenntnisse durch ein Studium an einer Hochschule erweitern wollen, aber kein Abitur in der Tasche haben. Der Traum vom Studium ohne Hochschulreife ist in Deutschland im Vergleich zum Ausland besonders schwer zu verwirklichen, weil vor allem das Abitur oder Fachabitur als Abschluss der Sekundarstufe II zugleich die Hochschulzugangsberechtigung bedeutet. Deshalb verwundert es kaum, dass nach Angaben des schleswig-holsteinischen Wissenschaftsministeriums weniger als 1 Prozent der über die ZVS vergebenen Studienplätze an Studenten ohne Abitur gehen.

In anderen Ländern – beispielsweise in Frankreich, England und der Türkei – ist dieser Zusammenhang weitaus weniger ausgeprägt. Denn dort haben viele Hochschulen eigene Prüfungssysteme, die über eine Aufnahme entscheiden. „Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Die OECD beklagt jedenfalls, dass der deutsche Weg ins Studium sehr eng ist“, sagt Roland Thierfelder von der Kultusministerkonferenz.

Dabei ist die Skepsis gegenüber Quereinsteigern an den Universitäten nach Ansicht von Experten unbegründet. Nach einer Untersuchung an der Universität Oldenburg ergeben sich zwischen Studierenden mit und ohne Abitur keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Studienerfolg und -abbruch. Laut Tobias Dünow vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium kompensieren diese Studenten Nachteile, wie ein höheres Alter, eine oft lernferne Sozialisierung und den Verlust der gewohnten Lebensumstände, durch eine höhere Motivation. „Denn“, so Dünow, „anderes als 18- bis 20-Jährige geben sie Einkommen und Sicherheit für ein Studium auf. Aufgrund ihrer Berufserfahrung wählen sie ihre Studienfächer pragmatischer und berufsbezogener, sodass sie später auf dem Arbeitsmarkt weniger Probleme haben.“

Niedersachsen hat unter den 16 Bundesländern eine Vorreiterrolle. Nachdem das Nordland schon seit 1994 ein Probestudium kennt, haben zum kommenden Wintersemester alle Handwerker mit Meisterprüfung die freie Studienwahl. Bislang konnten Quereinsteiger ohne Abitur nur Fächer mit einem engen Bezug zu ihrem erlernten Beruf studieren und mussten in einem kaum durchschaubaren Verfahren die „fachliche Einschlägigkeit“ der beruflichen Vorbildung überprüfen lassen. Zudem mussten Studienbewerber häufig eine Eingangsprüfung absolvieren. Diese Hürden fallen jetzt weg. Großzügig zeigt sich das Land auch gegenüber Absolventen mit schulischer Weiterbildung, etwa Erziehern, und Menschen mit Berufsabschluss und langjähriger Berufspraxis. Sie finden an den Fachhochschulen breite Eingangstore.

Mittlerweile haben alle Bundesländer mehr oder weniger liberale Regelungen für diese spezielle Gruppe unter den Studierenden getroffen. Ein Ausnahme bildet Bayern, wo die Uhren bekanntlich anders gehen. Dort haben nur Meister aus Handwerk und Industrie eine Chance, wenn das fachlich einschlägige Meisterzeugnis die Note „gut“ in der Prüfung der fachlichen Kenntnisse aufweist.

Da das Hochschulwesen in der Hand der Länder liegt, sind die Voraussetzungen und Studienmöglichkeiten jedoch sehr unterschiedlich. Zudem haben Hochschulen gleicher Länder teilweise unterschiedliche Regelungen getroffen. Die Freie Universität Berlin verlangt mindestens einen Realschulabschluss, eine für das Studienfach relevante Berufsausbildung und mindestens vierjährige Berufserfahrung im Anschluss an die abgeschlossene Ausbildung oder eine Meisterprüfung. Außerdem muss der Studienwunsch in Zusammenhang mit dem beruflichen Werdegang schriftlich begründet werden. Das Studium findet zunächst zur Probe statt. Andere Berliner Hochschulen haben ähnliche, aber nicht gleiche Voraussetzungen.

Die Universität Düsseldorf stellt dagegen deutlich geringere Anforderungen: Mindestalter 24 Jahre, abgeschlossene Berufsausbildung und eine mindestens fünfjährige berufliche Tätigkeit. Sie muss nicht mit der Berufsausbildung zusammenhängen. Selbst die Führung eines Familienhaushalts oder eine ehrenamtlichen Tätigkeit werden akzeptiert. Die nachzuweisende fachliche Vorbildung muss nicht in Verbindung mit der Berufsausbildung oder -tätigkeit stehen. Sie kann auch mit einem Hobby oder einem Ehrenamt zusammenhängen.

Bei solch einer Vielfalt der Zugangsbedingungen empfiehlt deshalb Kerstin Mucke, Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Berufsbildung und Autorin eines einschlägigen Buchs, sich direkt bei den Hochschulen zu informieren. Trotz der hohen und unübersichtlichen Starthürden zieht Mucke eine positive Bilanz. Wer den Studienstart und die Eingewöhnungsphase schaffe, habe gute Chancen: „Die Abschlusswahrscheinlichkeit liegt höher als bei klassischen Studenten, die direkt nach dem Abitur ein Studium beginnen.“

Kerstin Mucke/Bernd Schwiedrzik: „Studieren ohne Abitur. Berufserfahrung – ein Schrittmacher für Hochschulen und Universitäten“. W. Bertelsmann Verlag, 14,80 €

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