EICHELS HOFFNUNG AUF WIRTSCHAFTLICHES WACHSTUM IST UNBEGRÜNDET: Den Mangel verteilen
Es sieht so aus, als habe Hans Eichel auf Sand gebaut. Erst sechs Wochen ist es her, dass der Bundesfinanzminister (SPD) eine angeblich solide Einschätzung über das Wirtschaftswachstum zur Grundlage rot-grüner Regierungspolitik machte. Um 1,5 Prozent, so nahm er an, werde die Ökonomie in den nächsten beiden Jahren zulegen. Nun kommt es wohl anders: Der Sachverständigenrat schätzt, dass 2003 nur ein Prozent herauskommt. In Kombination mit der unterplanmäßigen Steuerschätzung kann Rot-Grün seine Finanzplanung in den Mülleimer werfen.
Die Regierungsparteien hätten es vorher wissen sollen. Die Annahme von Eichel ist – nur grob geschätzt – die 25. Prognose, die in den vergangenen zwei Jahren deutlich nach unten korrigiert werden musste. Dass man sich trotzdem auf eine zu hohe Zahl festlegte, liegt an der nahezu zwanghaften Hoffnung auf Wachstum. Denn es ist leichter, die Ansprüche der diversen gesellschaftlichen Gruppen zufriedenzustellen, wenn die Menge des Verteilbaren zunimmt.
Bleibt sie gleich, muss man dem einen etwas wegnehmen, um es anderen zu geben.
Die falschen Prognosen des Finanzministers sind Ausdruck einer Hoffnung, die mit der Realität nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Es ist wahrscheinlich, dass das Wachstum in den nächsten fünf oder zehn Jahren so niedrig ausfällt, dass das bestehende System der sozialen Sicherungen und der öffentlichen Finanzen nicht mehr im Gleichgewicht zu halten ist. Die Auswirkungen des größten Börsencrashs seit 1929, der Anschläge des 11. Septembers und der teilweisen Erschöpfung der Absatzmärkte in den großen westlichen Ökonomien sind möglicherweise so gravierend, dass Staaten wie Deutschland auf absehbare Zeit nicht mehr auf den alten Wachstumspfad zurückfinden können.
Die Politik wäre deshalb gut beraten, sich auf einen Zustand lang anhaltender Stagnation einzurichten. Und darauf, dass es im Prinzip darum geht, größere Wohlstandsverluste gleichmäßig auf möglichst viele Gruppen der Gesellschaft zu verteilen. HANNES KOCH
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