: Politisches Chaos vor Wahlen in Serbien
Die Partei von Regierungschef Djinjić steht vor der Spaltung. Sein Präsidentschaftskandidat Labus wirft das Handtuch. Auch Widersacher Koštunica zögert. Geschmack an der Macht hat derzeit vor allem der Ultranationalist Šešelj
BELGRAD taz ■ „Ich werde für die serbische Präsidentenwahl am 8. Dezember nicht kandidieren und kündige ab sofort meine Mitgliedschaft in der Demokratischen Partei (DS).“ Dies erklärte Jugoslawiens Vizepremier und Chef der einflussreichen Expertengruppe „G 17“, Miroljub Labus, Anfang der Woche und löste einen wahren Erdrutsch in der serbischen politischen Szene aus.
Labus warf dem DS-Vorsitzenden und Serbiens Premier Zoran Djindjić vor, ihn bei den Präsidentenwahlen im Okotober, die wegen der zu geringen Wahlbeteiligung gescheitert waren, nur „halbherzig“ unterstützt zu haben. Noch bis zum Jahresende werde sich „G 17“ als eine eigenständige Partei registrieren, kündigte Labus an.
Das durch den Machtkampf zwischen Djindjić und dem konservativen jugoslawischen Bundespräsidenten Vojislav Koštunica seit der Wende vor zwei Jahren politisch gelähmte Serbien soll in der „G 17“ eine frische, unverbrauchte, demokratische Reformpartei bekommen. Als Präsidentschaftskandidat bekam Labus im Oktober rund eine Million Stimmen. Meinungsumfragen gehen davon aus, dass die neue Partei aus dem Stand mit rund sechzehn Prozent der Wähler rechnen könnte, hauptsächlich mit der sozial ruinierten bürgerlichen Mittelschicht, die Djindjić „absolutistische Machtmethoden“, „politische Machenschaften“ und „Verbindung mit dem organisierten Verbrechen“ vorwirft.
Die neue Spaltung innerhalb der demokratischen Reformkräfte Serbiens schwächt bedrohlich die Position des in der Bevölkerung unpopulären Premiers und seiner DS. Labus leitete erfolgreich die Verhandlungen über die Rückkehr Jugoslawiens in den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und andere internationale Organisationen. Die wichtigsten und erfolgreichsten Minister der Regierung Djindjić sind Mitglieder der „G 17“ und engste Mitarbeiter von Labus, wie der Finanz- und Privatisierungsminister, der Notenbankchef und andere.
Labus begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die internationale Lage Serbiens „täglich schlechter“ werde. Belgrad werde vorgeworfen, nicht mit dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag zusammenzuarbeiten und mit Irak illegalen Waffenhandel zu betreiben. Serbien und Montenegro hätten sich nicht auf eine gemeinsame Verfassung einigen können und damit die Chance verspielt, in den Europarat aufgenommen zu werden. Die Parteien in Serbien seien, so Labus weiter, nicht bereit, „Verantwortung für schwierige Entscheidungen auf sich zu nehmen“ und würden ihre Energie in „endlosen Konfrontationen“ vergeuden.
Weniger als vier Wochen vor den Präsidentschaftswahlen konnte sich das in Serbien regierende Parteibündnis DOS unter Djindjić’ Führung nicht einmal auf einen gemeinsamen Präsidentenkandidaten einigen. Auch Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica zaudert immer noch mit seiner Kandidatur. Dagegen läuft die Wahlkampagne des Ultranationalisten Vojislav Šešelj auf Hochtouren. Die endlosen Auseinandersetzungen im demokratischen Block stärken die rechtsradikalen Überreste aus der Zeit von Slobodan Milošević.
„Die demokratischen Kräfte in Serbien sind in eine Sackgasse geraten“, warnte der politische Analytiker Djordje Vukadinović. Die Situation würde an eine lateinamerikanische Seifenoper erinnern: Immer die gleichen Verwicklungen unter den gleichen Protagonisten, mit unüberzeugender Schauspielerei und endlos in die Länge gezogener Handlung. ANDREJ IVANJI
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