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Wie hast du gelebt?

Lasst uns über Holger reden: eine Nacht mit frühen Filmen von Hartmut Bitomsky, Renate Sami und Holger Meins – alles Studenten der ersten Stunde an der Film- und Fernsehakademie

von MADELEINE BERNSTORFF

1967. Die Filmemacherin Helke Sander mit ihren hübschen Ponysträhnen trägt ein gestreiftes Hemdblusenkleid. Sie hat das Bier gebracht zur Lagebesprechung der Gruppe. Stumm ist sie, einmal gibt es einen kurzen Blickwechsel mit einem Mann, der gerade auch nicht so in das Gespräch involviert ist. Später gibt sie die Befehle. Sie planen einen Überfall auf die Universitätskasse. Sie reden so viel, dass der Überfall fehlschlägt. „3000 Häuser“, ein Film von Hartmut Bitomsky, an der Kamera Holger Meins. Ein Stadtfilm mit Westernelementen.

Als die Deutsche Film- und Fernsehakademie 1966 eröffnet wurde, bewarben sich 850 Interessierte, davon wurden 30 angenommen. „Es ist vollkommen vergessen, dass das Kino für eine ganz kurze Zeit so eine Rolle hatte wie später die Musik“, sagt Harun Farocki. Zu den Studenten der ersten Stunde gehörten Hartmut Bitomsky, Holger Meins, Harun Farocki, Helke Sander und Ingrid Oppermann.

Es entstanden Filme, die von dem Willen geprägt waren, das, was man über Politik lernte, mit dem, was man über Film lernte, zu verbinden. Dass das erst mal mit einem genauen Verhältnis zu Menschen und ihrem sozialen Umfeld zu tun hat, ist an dem ebenfalls 1967 entstandenen Film über den Handel treibenden und Sachen tauschenden „Oskar Langenfeld“ zu sehen, der mit seinem kleinen Handkarren herumzog, im Sommer draußen und im Winter im Männerwohnheim in der Schlesischen Straße schlief. „Der Film macht sich keine Gedanken darüber, wo die Grenzlinie zwischen dem Sozialen und dem Existenziellen verlaufen mag“, sagt Farocki. Der Film ist von Holger Meins.

Renate Sami war ein Jahr lang in Untersuchungshaft, weil sie mit einer gewalttätigen Demonstration gegen die Erschießung von vier protestierenden Studenten in den USA in Verbindung gebracht worden war. Mit Geld der Haftentschädigung und geschenktem Filmmaterial begab sich Renate Sami 1975 zu Leuten, die sich trauten, über den am 9. November 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen gestorbenen Holger Meins zu sprechen. Hochkontrastige Schwarzweißfotos, stumm und still, zeigen Meins als kleines Kind, als Jungen, als jungen Mann mit tief liegenden Augen, schlaksig an einen Türrahmen gelehnt, wie er eine Filmkamera umfasst, dann ein Fahndungsbild und zuletzt ein Plakat „Ein Genosse ist tot“.

„Es stirbt allerdings ein jeder“ heißt der Film, „die Frage ist nur, wie und wie du gelebt hast.“ Nun erzählen Freunde und StudienkollegInnen von der Filmakademie. Die Filmemacherin ist im Gespräch mit dabei, die Orte sind städtisch mit Vogelgezwitscher, Hinterhöfe, Zimmer, in denen man vor einem Teetablett auf dem Boden sitzt, eine Betonbalustrade, ein Hauseingang. Die Kamera von Gerd Conradt bleibt meist präzise in Halbtotalen, manchmal im Verlauf der Gespräche nähert sie sich den Gesichtern.

Ulrike Edschmid erzählt: „Wie der Holger zum letzten Mal da war. Ich habe wie meistens irgendwas genäht bei uns in der Küche. Und der Holger … kam noch mal zum Schluss, um richtig auf Wiedersehen zu sagen. Mir war klar, dass ich ihn wahrscheinlich nur in der Zeitung wiedersehen würde, und so nicht mehr.“ Währenddessen endet das Filmmaterial mit Lichtblitzen, nur der Ton läuft weiter.

Filmsamstag im Filmkunsthaus Babylon, Studiokino: Erste Filme, frühe Filme. 16. November, 20 Uhr; Renate Sami: „Es stirbt allerdings ein jeder“, 1975, 51 Min. Holger Meins: „Oskar Langenfeld“, 1967, 12 Min. Hartmut Bitomsky: „3000 Häuser“, 1967, 18 Min.

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