piwik no script img

der tod und das wildschwein von KARL WEGMANN

Volkstrauertag! Wir trauern, wir sind schließlich das Volk. Johnny Cash hilft mit „The man comes around“. „Ähäh“, macht Hermann und fragt: „Um wen oder was trauern wir hier eigentlich? Ich meine, wir trauern ja wohl nicht ganz offiziell um das Kanonenfutter der beiden Weltkriege, oder?“ – „Gute Frage“, meint Bernd und Hermann sagt: „Volkstrauertag, Totensonntag, Allerheiligen, Allerseelen … ist euch schon mal aufgefallen, wie düster unsere so genannten Feiertage sind? Ich meine, das alles geht weit über unsere übliche Herbstdepression hinaus.“

„Was kann man schon von einer Religion erwarten, die als Symbol ein Folterwerkzeug verwendet“, zitiert Konscho. „Ich dachte, ihr Griechen seht das alles etwas lockerer“, wundert sich Bernd. „Von wegen“, sagt Konscho, „ich hab zum Beispiel in diesem Sommer meinen Alten wieder ausbuddeln müssen. Dann wurde die Leiche in die Kirche getragen, und ich musste die Knochen reinigen und waschen. Danach hat man sie wieder begraben. Ich kann euch sagen …“ – „Warum das denn?“, fragt Hermann sichtlich geschockt. Konscho zuckt nur mit den Schultern: „Ein fester Bestandteil meiner Religion.“ – „Wen betest du denn an“, fragt Bernd, „Sankt Splatter, Stephen King …“ Bevor die Empörung so richtig hoch kochen kann, ruft Willy aus der Küche: „Die Sau ist fertig, macht mal den Tisch klar.“

Das tote Wildschwein hat zwei Tage in Buttermilch gebadet und ist jetzt zart wie Marzipan. Dazu spendiert Willy ein paar Flaschen 1990er Chateau Maucaillou. „Die Indianer haben eine tolle Religion“, erzählt Bernd mit vollem Mund, „die entschuldigen sich bei jedem Tier, das sie getötet haben.“ – „Okay“, sagt Hermann, „du entschuldigst dich bei diesem ausgezeichnetem Waldschwein, und ich bitte die Preiselbeeren um Vergebung. Damit hätten wir dann ja wohl unser Gewissenn …“ – „ „Bornierter Katholik“, zischt Bernd. „O Verzeihung“, grinst Hermann, „ich habe die Kartoffeln vergessen.“

Der jammernde Mr. Cash ist inzwischen bei seiner Version von Hank Williams’ „I’m so lonesome I could cry“ angekommen, aber irgendwie haben inzwischen alle die Schnauze voll von Schuld und Sühne, von Schwermut und Weltschmerz. Also schmeißt Willy den alten Mann raus und schiebt Ryan Adams „Demolition“ ein. Das hebt die Stimmung ganz enorm. Die Bahn ist frei um über den neuen „Harry Potter-Film“ herzufallen. „Absoluter Müll“, „grandioser Mist“, sind so die Kommentare. Wir legen noch schnell eine Gedenkminute für den großen Trinker Richard Harris ein, um uns dann den neuen „Herr der Ringe“-Film vorzunehmen. Hermann hat zu viel von dem roten Franzosen erwischt und lallt nur noch: „Sie töten Bücher, die Schweine töten Bücher.“ Dann kommt das Hochprozentige auf den Tisch, und Willy führt uns seine neue Jura-Espressomaschine vor. Feine Sache.

So geht der Volkstrauertag zu Ende. Bernd hebt sein Glas, wirft einen bewundernden Blick auf die goldene Flüssigkeit und meint: „Diese düsteren Feiertage sind gar nicht so schlecht, man muss sie nur zu nehmen wissen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen