: Dortmund. Draußen.
November-Tagebuch (Montag): die Jojo-Ratte
Der Tag beginnt mit diesem Dauer-Déjà-vu. Warum geht diese nicht unfreundliche, aber erwiesenermaßen strunzdumme Frau immer an meiner Haustür vorbei, wenn ich gerade auf die Straße will? Meine zu dieser frühen Tageszeit mittelmäßig wache, schienbeinhohe Hündin stürzt sich wie immer auf das, was die Frau unten an einer Leine angebunden hat. Eine Art Ratte, die aber ein für diese Sorte Nagetiere zu langes Fell hat. Irgendwo auf der Ratte oben drauf ist es mit einer Schleife zusammengebunden, damit die Rattenaugen auch mal Lichteinfall haben.
Die für ihre Größe viel zu aggressive Töle spuckt wie immer Gift und Galle. Zu kleine Hunde sind wie zu kleine Männer. Müssen selbst zum Mülleimer aufmachen auf die Fußbank steigen, haben aber ein unterdrücktes Türsteher-Ego, das ab und zu von der Kette muss. Zu kleine Männer halten sich deswegen gern große Hunde. Meistens solche mit coupierten Schwänzen. Vielleicht, damit wenigstens die Schweife von Herr und Hund zusammenpassen. Aber ich schweife ab.
Dieser zu kleine Hund hat ein kleines Frauchen, die ihn an einer flexiblen Leine hält. Die Leine hat eine Zugfedermechanik. Im Gefahrenfall muss sie nur kurz an ihr reißen, und das Angebundene flutscht wie ein Jojo in die aufgehaltene Hand.
Meine Hündin ist auch keine Intelligenzbestie. Ich glaube aber, sie hat eine überbordene Fantasie. Sie ist – je nach Tagesform und Laune – in der Lage, sich bewegende Objekte so zurechtzusimulieren, dass diese Objekte für sie Feindgestalt annehmen. Wenn zum Beispiel die Katzen- und Eichhörnchenfrequenz in meinem Garten mal ein paar Tage gegen null geht, reicht ihr auch schon ein vom Baum geschütteltes Blatt, um sich in die Triebhaftigkeit eines Jagdhundes hineinzufiebern.
Ich hab keine Ahnung, was sie sich unter der Jojo-Ratte vorstellt. Vielleicht einen laufenden Hundekuchen. Ein behaartes Frolic. Das Frolic sitzt jetzt in der zitternden Hand des Frauchens und ist völlig von Sinnen. Wenn ich nichts unternehme, schaffe ich es vielleicht, dass es einen Infarkt bekommt. Aber es ist zu früh am Tage, ich will meine Ruhe haben, und der Lärm ist unerträglich. Frolic wird gleich kotzen, mein verwunschener Jagdhund steht auf den Hinterbeinen und kläfft im Schritt der wimmernden Frau rum. „Nehmse ihr Tier wech – nehmse ihr Tier wech“, keift sie mich an.
Ich nehm also mein Tier wech und stapfe wie jeden Morgen die Straße hinunter zum Kiosk. Zigaretten, Zeitungen. Möllemann hat immer noch Herzbeschwerden. Der Tag kann beginnen.
FRITZ ECKENGA
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