: Ausgeglichenes Sündenkonto
Die Ursendung des Hörspiels „Crazy Gary‘s Mobile Disco“ läuft heute im Nordwestradio
„88.3 – Schicksalsstories von Stage und Backstage, Geschichten über Leidenschaft und Liebe“ – Radio Bremen experimentiert wieder. Heute um 22.05 sendet das Nordwestradio das Hörspiel „Crazy Gary‘s Mobile Disco“: Drei Männer erzählen Kerliges und Wehleidiges, stottern Beichten, banal und sprunghaft, absurd allemal. Zum Schreien komisch bis widerlich, wie in den Bekenntnisshows von Bärbel bis Reinhold. Nur: Bei Hörspiel-Regisseur Gottfried von Einem dürfen sie etwas weiter ausholen. Gute 20 Minuten gibt er jeder seiner drei Figuren.
Crazy Gary betreibt eine mobile Disco und macht die Karaoke-Konkurrenz gerne mit der bloßen Faust platt. Doch in einem „wunderschönen Augenblick postmoderner Epiphanie“ verliebt er sich. Mit der „verdammt makellosesten Perle“ könnte jetzt das schönere Leben beginnen.
Pete ist arbeitsloser Künstler, nennt sich „Mathew D. Melody“ und bringt beim Karaoke „mit einem Lied die Liebe zum Leben.“ Aber das Arbeitsamt zwingt ihn an die Supermarktkasse, achtlos wirft er Colaflaschen weg, ermordet ungewollt Kätzchen - oder starrt der Arbeitsvermittlerin auf die Brust. Sein Sündenkonto bringt er mit Blitzgebeten und Erklärungs-Postkarten ins Reine. Ein Lieber, der oft rot sieht.
Russel will seit Jahren cool die Stadt verlassen - und seine Freundin. Doch etwas hält ihn, seine Lady hat leichtes Spiel, den Abschied immer zu verschieben. Eine Geschichte, vor Jahren Stadttratsch, läßt ihn aufhorchen: Zwei Schulfreunde wurden sexuell genötigt... Eine Rechnung ist noch offen.
Unspektakulär schiebt Hörspiel-Autor Gary Owen in seinem Drei-Monologe-Erstlingsstück die Erlebnisse aneinander. Wie im guten Krimi zeigen die letzten Minuten, was drei ausgewachsene Männer - jeder für sich ein Monstrum aus Gefühlen und Gewalt - verbindet. Was sie nötigt, so zu sein, wie sie sind. Der Medienalltag stellt Freaks aus, Owen erzeugt mit sporadischen Andeutungen Background und Tragödie. Angemessen schnoddrig gesprochen, mit heiligem Ernst und spannender Verwirrung, ist das Experiment geglückt: Kino im Kopf, Theater für die Ohren. Carsten Werner
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