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Der Duftöllyriker

Salbungsvoll zwischen Poesiealbum und Bibel-Talk: Ben sang im ColumbiaFritz und Gott ließ das Konzert enden

Ben ist zum ersten Mal auf Tour und deshalb denkt er, es wäre cool, den Backstagepass um den Hals baumeln zu lassen. Welcher Ben?

Ben eben, nicht Ben Becker, sondern Bernhard Albrecht Matthias Lasse Blümel, der Waldorfschüler aus Berlin, der Teeniestar mit der gehäkelten Wollmütze und dem eindringlich-scheußlichsten Chartshit des Jahres: „Engel leiden, Engel weinen, Engel fühlen sich mal allein, sie verzweifeln wie viele andere, fallen tief und haben Feinde.“

Ben besteht darauf, kein gemachter Star zu sein, sein Image sei „nicht aufgesetzt“. Er wurde beim Kellnern in einem Straßencafé entdeckt, vorher hat er schon in zwei Bands, Freejazz und Jamaika Trinidad, gespielt. „Tragische Ereignisse in Familie und Freundeskreis haben ihn nachdenklich gemacht“, heißt es im Info.

Von seinen Vorbilder Herbert Grönemeyer und Xavier Naidoo hat Ben sich das Schlechteste aus ihren schwächsten Momenten abgeguckt und aufs Unseligste miteinander verquickt, denn die Texte schreibt er im Gegensatz zu vielen Teeniestarkollegen leider selbst. So entstehen die unfreiwillig komischen, salbungsvollen Zeilen zwischen Poesiealbum und Bibel-Talk, Psycho-Ratgeber und Duftöllyrik.

Die Stimmung am Mittwoch im drei Viertel gefüllten ColumbiaFritz ist eher heterogen. Vorne Fan-Gekreische, in der Mitte gespanntes Zuhören, hinten gequälte Langeweile. Alle Stücke von seinem eilig erstellten Longplayer „Hörproben“ werden zum Vortrag gebracht, Sashas Produzent half bei der Musik. Die hört sich zwar immer gleich an, kommt aber bei den ruhigen Stücken angenehm chillig und tut im Gegensatz zum Text nicht weh.

„Doch du wirfst Steine in mein Herz aus Glas“ singen alle mit. Bens Lieder sind höchstdramatisch, es geht um Selbstaufgabe und Verrat, um düstere schicksalshafe Begegnungen mythischen Ausmaßes, wenn sich zum Beispiel zwei fragen, ob sie zusammen passen. Mit dem Publikum unterhält er sich in dämlicher Kinderbuchsprache: „Das nächste Lied handelt von einer langen, langen, langen Reise … Letztens saß ich im Flugzeug, da saß ein Mädchen hinter mir, das hat bitter-bitter-bitter-bitterlich geweint, und dann hat sie mich erkannt, und dann hat sie gelacht, und dann hat sie ‚Engel‘ gesungen.“

Endlich kommt der aktuelle Hit: „Gesegnet seist du, mit all deinen lieblichen Fehlern.“ Auch hier weiß man zuerst nicht, ob Gott oder die zukünftige Sexualpartnerin besungen wird: „Klar wie Wasser empfind ich dich, belebst du mich und dein Salz auf meiner Haut, kein Zurück mehr, jetzt sind wir gefangen, gesegnet, gesegnet, gesegnet seist du.“ Da schicken plötzlich auch Ungläubige Stoßgebete wie „Herr, lass es Abend werden“ gen Himmel. Und Gott hatte ein Einsehen und ließ das Konzert enden.

CHRISTIANE RÖSINGER

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