piwik no script img

Im dunklen Grenzbezirk

Die einsame, niederdrückende Arbeit des Schreibens: Stefan Howald hat die erste umfassende Biografie zu Eric Ambler vorgelegt. Der Erfinder des politischen Thrillers litt unter Depressionen

Stefan Howalds Buch ist eine kurze Literaturgeschichte des Thrillers

von KOLJA MENSING

Der britische Rüstungsingenieur Graham entkommt den Mordversuchen des feindlichen Geheimdienstes, nicht jedoch der deutschen Bedrohung. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen, und Graham denkt auf den letzten Seiten von Eric Amblers Roman „Die Angst reist mit“ an den Blick „aus seinem Schlafzimmer, wenn deutsche Flugzeuge am Himmel über der Nordsee auftauchen“.

Der Satz wird zu einer düsteren Prophezeiung. „Die Angst reist mit“ erscheint, kurz bevor am 13. August 1940 die verheerende Luftschlacht über der britischen Insel beginnt: „Das einzige, was mich bei meinem Eintreffen in England tröstete“, notiert Ambler, der gerade aus den USA zurückgekehrt ist, „war die Nachricht, daß meine Bücher noch immer den Dreh heraushatten, genau im unpassendsten Moment herauszukommen.“

Unpassend, indeed. Eric Ambler ist seinem Leben vorzugsweise in einer Mischung aus Ironie und Eitelkeit begegnet, und einem autobiografischen Essay gab er gleich den Titel „Here Lies“: „Hier liegt …“ oder „Hier lügt …“? Die Erwartungen sind groß, wenn der Schweizer Publizist Stefan Howald jetzt die erste umfassende Biografie dieses Schriftstellers vorlegt. Wer war Eric Ambler?

Im Jahre 1909 wird Eric Clifford Ambler in London geboren. Der angehende Ingenieur liebäugelt mit einer Laufbahn als Künstler. Er tritt in Music-Halls auf und schreibt Dramen. Der Bühnenerfolg bleibt aus, dafür wechselt der junge Techniker von einem Glühlampenhersteller als creative writer zu einer Werbeagentur.

Mitte der Dreißiger beginnt er mit der Arbeit an seinem ersten Roman: „Der dunkle Grenzbezirk“. Damals war die detective novel die Königsdisziplin der Kriminalliteratur. Ambler jedoch stellt sich in die Tradition der Spionagegeschichte. Das Genre war erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den Fortschritten der Waffentechnik und dem verschärften Konkurrenzkampf der europäischen Nationalstaaten entstanden – als der Spion, der strategische Informationen beschaffte, sich von einer geächteten Figur zum literaturtauglichen Helden wandelte.

Kurz bevor mit dem Zweiten Weltkrieg das große Morden in Europa und Asien beginnt, hat die englische Kriminalliteratur das Landhaus weitgehend hinter sich gelassen: Graham Greene schreibt mit „Abgrund des Lebens“ den ersten Psychothriller, Geoffrey Household stellt in „Einzelgänger, männlich“ Action in den Vordergrund – und Eric Ambler macht aus dem Spionageroman endgültig das, was wir heute einen „politischen Thriller“ nennen. 1939 erscheint „Die Maske des Dimitrios“. Im Mittelpunkt steht ein europäischer Berufsverbrecher, kein Krimineller im klassischen Sinne, sondern ein „Produkt seiner Zeit“. Dimitrios, so heißt es an einer Stelle, war „so logisch und konsequent wie das Giftgas Lewisit und die Leichen von Kindern, die bei einem Luftangriff auf eine offene Stadt umgekommen sind“.

Stefan Howalds Biografie verfolgt diese Entwicklung in langen Nacherzählungen und Analysen. Wie sich die Verwandlung eines Ingenieurs in einen routinierten Schriftsteller vollzieht, erfährt man dabei nur am Rande. Eine hilfsbereite Literaturagentin und der feste Wille, das Genre zu „intellektualisieren“ (Ambler), haben offenbar eine Rolle gespielt. Über das Privatleben vor dem Zweiten Weltkrieg liest man ansonsten wenig, und wenn, dann in einem reichlich merkwürdigen Tonfall: Ambler sei „erotischen Attacken“ von Männern ausgesetzt gewesen, zuweilen gar „gezielten Attacken“, schreibt Howald und versteckt obendrein die Liebesbeziehung von Amblers späterer Ehefrau Louise Crombie zu ihrer Vermieterin verschämt in einer indirekten Frage.

Eric Ambler zumindest hat sich selbst so gründlich lektoriert, dass im Verlag kaum noch an seinen Manuskripten gearbeitet werden musste. Der englische Schriftsteller war ein Perfektionist, dessen Stilwille sich bis in die formelle Gestaltung des Arbeitstags erstreckte. Hinter der „geruhsamen Existenz“ (Howald) mit ihren strengen Alltagsritualen, die Ambler seit den Sechzigerjahren mit seiner zweiten Ehefrau Joan Harrison führte, darf man das Leben eines zu Depressionen neigenden Mannes vermuten: „Spionage ist einsame und oftmals niederdrückende Arbeit“, schreibt er 1964, und es fällt schwer, in dieser Beschreibung nicht das Psychogramm eines Schriftstellers zu erblicken: „Er muß imstande sein, während langer Zeitspannen unter außergewöhnlicher Nervenbelastung zu leben, ohne unter ihr zusammenzubrechen.“

Zwischen dem Erscheinen von „Die Angst reist mit“ während des Krieges und dem „Fall Deltschev“ liegen zehn Jahre: „Ich musste mit einigen neuen und merkwürdigen persönlichen Entdeckungen zurande kommen“, berichtet Ambler später, ohne konkret zu werden.

Auch Stefan Howald bietet keine Erklärungen für die lange Schaffenskrise an. Ambler hatte den Krieg in einer mehr oder weniger privilegierten Stellung bei einer Progapandaeinheit verbracht. Am meisten hat Ambler wohl anschließend unter der frustrierenden Tätigkeit des Drehbuchschreibens gelitten. So bleibt von dieser schwermütigen Zeit, während deren Ambler zunächst in London und dann in Hollywood lebt, nur eine lange Liste von nicht verwirklichten Projekten. Ambler hielt sich dann – es muss ein Befreiungsschlag gewesen sein – wieder ausschließlich an Romane, darunter „Topkapi“, der 1964 mit Peter Ustinov verfilmt wurde: „Natürlich bin ich nicht der erste Schriftsteller, der sich, indem er Komödien schreibt, aus seinen Depressionen herauszieht.“

Eine Biografie? Stefan Howalds Buch ist eher eine kurze Literaturgeschichte des Thrillers – als solche allerdings durchaus spannend. Wie geht es weiter?

Ambler, der in den Dreißigerjahren das Genre mit erfand, wagt 1956 noch einmal einen Neuanfang und schreibt mit „Besuch bei Nacht“ einen der ersten Krimis, die außerhalb Europas bzw. Nordamerikas angesiedelt sind. Ein Engländer gerät in einem Inselstaat im Pazifik zwischen die Fronten verschiedener nationalistischer Bewegungen, die nach dem Abzug der holländischen Kolonialmacht um die Macht kämpfen. Er wird als Geisel genommen. Jede Geste erregt Verdacht, aus Andeutungen, Kampfgeräuschen und etwas Wissen über die Geschichte des fremden Landes reimt sich das Opfer die Hintergründe seiner Situation zusammen, die praktisch von Minute zu Minute bedrohlicher wird.

Dekolonisation als Suspense-Faktor: „Ein glänzendes Stück Literatur“, befindet in der Sunday Times ein gewisser Ian Fleming – ein neuer Stern am Thrillerhimmel, der sich wie die Autoren der Vorkriegszeit allerdings an das europäische (und nun um die USA erweiterte) Mächtespiel hält. Sein Agent James Bond wird der Auflagenheld des Kalten Krieges. Ambler neidet dem jüngeren Kollegen den Erfolg, während Fleming umgekehrt voll Bewunderung ist: In „Liebesgrüße aus Moskau“ gibt er Bond sogar „Die Maske des Dimitrios“ als Bettlektüre an die Hand.

Kaum hat Ambler sich von diesem Schock erholt, steht der nächste Konkurrent bereit: John Le Carré wird Anfang der Sechziger als Nachfolger Amblers gefeiert. Im Gegensatz zu Flemings etwas zu perfektem 007 schafft er mit dem übergewichtigen Brillenträger George Smiley einen Antihelden. Le Carrés Romane, allen voran „Der Spion, der aus der Kälte kam“, verkaufen sich glänzend. Mit ihren vermeintlichen Einblicken in die Realität der Geheimdienstarbeit und des Ost-West-Konflikts treffen sie den Nerv der Zeit.

Auch Ambler bleibt aktuell: In „Der Levantiner“ widmet er sich 1972 dem Nahostkonflikt. Hier und in seinem vorletzten Roman, „Bitte keine Rosen mehr“, macht er die Wirtschaftskonzerne zu den eigentlichen Schurken der internationalen Politik. Zur gleichen Zeit bereiten Frederick Forsyth und andere bereits den Weg für die überrealistischen, stark dokumentarischen Thriller, mit denen zunächst sie und später dann Schriftsteller wie Tom Clancy Auflagenrekorde erzielen werden. Allein der Rechercheaufwand wäre nichts für Eric Ambler gewesen: Er verachtete Schriftsteller, die ihre Arbeit mit Notizen vorbereiteten.

Vielleicht ist es ja Amblers „prognostische Kraft“ (Stefan Howald), die ihn 1981 in „Mit der Zeit“ über Terrorismus und chemische Kriegführung schreiben lässt. Beeindruckender als jede Vorwegnahme politischer Realitäten ist jedoch die Lakonie, mit der der 1998 verstorbene Ambler seinen letzten Thriller beginnt: „Der Brief mit der Warnung traf am Montag ein, die Bombe selbst am Mittwoch. Es wurde eine ereignisreiche Woche.“

Wer war der Mann, der solche Sätze schreiben konnte?

Stefan Howald: „Eric Ambler. Eine Biographie“. Diogenes, Zürich 2002, 593 S., 29,90 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen