Stunde der politisch allein Gelassenen

Anti-Hartz-Bündnis mobilisiert gegen Reform des Arbeitsmarkts. Potenzielle Hartz-Gegner sollen ins Boot geholt werden. Bundesweite Vernetzung im Gespräch

Der erste Teil der Hartz-Gesetze ist Mitte November im Bundestag abgesegnet worden – aber bis heute weiß ein Großteil der Bevölkerung nicht, dass damit die Türen für eine Amerikanisierung des deutschen Arbeitsmarkts geöffnet wurden. So sieht es zumindest das Berliner Anti-Hartz-Bündnis und geht daher an die Öffentlichkeit: Heute Abend sollen in der Humboldt-Universität die Kritik am Hartz-Konzept und Perspektiven des Protests diskutiert werden. Am Donnerstagnachmittag zieht das Bündnis dann mit einer Demonstration quer durch Kreuzberg von der Charlottenstraße bis zum Hermannplatz.

Das im Oktober gegründete Anti-Hartz-Bündnis besteht im Moment aus rund 70 sozialen Initiativen, Gewerkschaftern und Einzelpersonen, die in mehreren AGs organisiert sind. Neben Gruppen wie Anders Arbeiten, dem Gegeninformationsbüro oder den Globalisierungskritikern Attac sind auch Erwerbsloseninitiativen und Sozialhilfeempfänger vertreten. Ihnen geht es vorrangig darum, gegen strengere Zumutbarkeitsregelungen und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu protestieren.

Die Gewerkschafter im Bündnis haben ein spezielles Verhältnis zur Hartz-Kommission, da ihre eigene Führung an der Ausarbeitung der Empfehlungen beteiligt war. Markus Dahms von der IG Metall bemängelt, die Abgesandten hätten nicht die Positionen der Gewerkschafter vertreten. Die Stimmung an der Basis sei klar gegen die von Hartz gemachten Vorschläge. Kein Wunder: Die Arbeitnehmer befürchten, dass mit der Einführung der Personal-Service-Agenturen, dem Herzstück der Reform, Leiharbeit attraktiver wird als traditionelle Beschäftigungsverhältnisse. Auch das Anti-Hartz-Bündnis rechnet nach der Reform mit einer massiven Ausweitung von Arbeitsstellen, die langfristig nicht existenzsichernd sind.

Die Aktivisten wissen, dass ihr Protest nur gehört wird, wenn sie viele sind. Sie wollen daher alle potenziellen Hartz-Kritiker mit ins Boot holen. Sowohl bei den Jusos als auch im Landesverband der Grünen gebe es zum Teil heftige Zweifel an der Hartz-Reform, berichtet Renate Hürtgen, die außer im Anti-Hartz-Bündnis bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mitarbeitet. Ob die Kritiker ihre Bedenken nur innerhalb ihrer Parteien äußern oder außerparlamentarisch, wird sich heute und morgen an der Teilnehmerzahl zeigen.

Die Mobilisierung von weiteren Aktivisten ist nicht leicht, solange die rot-grüne Bundesregierung und die Gewerkschaften mehr oder weniger an einem Strang ziehen. Renate Hürtgen macht sich und ihren Mitstreitern trotzdem Mut: „Wenn Menschen politisch allein gelassen werden, ist das immer die Stunde von sozialen Bewegungen.“ Inzwischen haben sich andere Anti-Hartz-Initiativen auch im Ruhrgebiet und in Frankfurt am Main gegründet. Eine bundesweite Vernetzung ist im Gespräch. Welche Perspektiven ein Anti-Hartz-Bündnis auf Bundesebene hat, soll heute Abend in der Humboldt-Uni diskutiert werden. ANTJE LANG-LENDORFF