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Mücken ärgern den Elefanten

Paris und Berlin sind sich einig bei der Sicherheits-, Innen- und Steuerpolitik der EU. Doch gegen ihr massives Auftreten meutern nun die kleinen Staaten

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der Vorgang ist ein Déjà-vu, die Worte werden ebenfalls ähnlich sein – heute Nachmittag wird Konventspräsident Valérie Giscard d’Estaing zu Beginn der Konventssitzung wieder ein neues Mitglied begrüßen: Frankreich lässt sich künftig von seinem Außenminister Dominique Villepin vertreten. Pierre Moscovici, der bislang als Überbleibsel der abgewählten sozialistischen Regierung Jospin über Europas Zukunft nachdachte, wird mit ein paar warmen Dankesworten nach Hause geschickt.

Vor fünf Wochen gab es dieses Ritual schon einmal. Damals löste der deutsche Außenminister Joschka Fischer den bislang als Regierungsvertreter entsandten Peter Glotz ab. Der steigende VIP-Anteil zeigt, dass die Regierungen den Konvent nicht länger als Quasselbude betrachten. Umgekehrt erhalten die dort gefassten Beschlüsse, an denen die Minister mitgewirkt haben, auch mehr Gewicht. Bei der anschließend vorgeschriebenen Konferenz der Staats- und Regierungschefs, die die Reformen absegnen müssen, sind sie nicht so leicht vom Tisch zu wischen.

Die Gefahr besteht aber darin, dass sich der Charakter des Konvents, der ersonnen wurde, um den reformunfähigen Regierungschefs Beine zu machen, durch immer mehr Berufspolitiker in seinen Reihen ändert. Als Versammlung gleichberechtigter Männer und Frauen, die neue Lösungen für alte Probleme finden wollen, war er im März angetreten. Nun jedoch scharen sich die Medien um die einflussreichen Politiker, ist Schluss mit Visionen und Träumereien von Basisdemokratie, jetzt formulieren die Außenminister – druckreif, kompromissbereit, realitätsbewusst.

In welche Richtung die Reise geht, zeigt sich seit dem Gipfel von Brüssel Ende Oktober, wo ja bekanntlich der deutsch-französische Motor wieder ansprang. Schröder und Chirac starteten ihn unter vier Augen mit dem Deal, in der Agrarpolitik alles beim Alten zu lassen. Kein gutes Omen für die Mitreisenden im Konvent, die zu neuen Ufern aufbrechen wollen. Um sie auf die neue Route einzustimmen, legten Fischer und Villepin inzwischen drei Grundsatzpapiere vor, die in die Reformdiskussion einfließen sollen.

Zunächst umrissen sie Ende November den Bereich, der ihnen nach Ölsaaten und Milchquoten am meisten am Herzen liegt: die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In einem Spiegel-Interview sagte es die französische Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie am Montag ganz offen: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Die Distanz, die zwischen Berlin und Washington wegen der Irakfrage entstanden sei, habe Deutschland und Frankreich näher zueinander gerückt, frohlockte sie.

Multinationale Verbände sollen künftig die Union gegen Bedrohungen schützen – „besonders gegen Terrorismus“. Die Vorbehalte traditionell neutraler Länder wie Irland sollen dadurch ausgeräumt werden, dass die beim EU-Gipfel von Nizza eröffnete Möglichkeit der „verstärkten Zusammenarbeit“ einer Kerngruppe von Staaten auf den militärischen Bereich ausgedehnt wird. Außerdem soll diese Gruppe – anders als in Nizza vereinbart – weniger als zehn Mitgliedsstaaten umfassen können. Eine qualifizierte Mehrheit der EU-Mitglieder könnte ein solches Projekt absegnen, die in Nizza vereinbarte Einstimmigkeit als Voraussetzung für verstärkte Zusammenarbeit wird abgeschafft.

Wenige Tage nach dem Papier zur Verteidigungspolitik trug die aufgefrischte Sandkastenfreundschaft neue Früchte – diesmal zur Justiz- und Innenpolitik. Ein europäischer Staatsanwalt soll die finanziellen Interessen der EU gegen Korruption und Misswirtschaft schützen und „ernste Fälle von grenzüberschreitender Kriminalität“ verfolgen. Europol, bislang nur ein Koordinationsorgan nationaler Ermittlungsbehörden, soll „grenzüberschreitende Polizeiaktionen in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten“ durchführen können. Eine multinationale Polizeitruppe, die als „unverzichtbares Element der gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik“ bezeichnet wird, soll Menschenhandel bekämpfen, aber auch die Außengrenzen des Schengen-Raums schützen und den Flüchtlingsstrom drosseln.

Im Vergleich zu diesen Law-and-Order-Plänen, die bei liberal gesinnten Konventsmitgliedern auf Protest stoßen dürften, ist der dritte und vorerst letzte Vorstoß aus dem deutsch-französischen Think-Tank den Briten ein Dorn im Auge: Körperschaft- und Vermögensteuer sollen in der Union so weit angeglichen werden, dass grobe Standortunterschiede vermieden werden.

Sollten wie angekündigt im Januar bei den Feierlichkeiten zum vierzigsten Geburtstag des Élysée-Vertrags Bundestag und französische Nationalversammlung gemeinsam ein Gesamtkonzept zur EU-Reform vorlegen, dann müssten die jetzt schon bekannten Reformelemente eigentlich nur noch um den institutionellen Teil ergänzt werden. Hier schnurrt der deutsch-französische Motor noch nicht völlig reibungslos – aber bis Januar ist ja noch Zeit.

Könnte sich Deutschland endlich mit der spanisch-britischen Lieblingsidee eines auf mehrere Jahre gewählten Ratspräsidenten anfreunden, die auch von Frankreich und vom Konventspräsidenten favorisiert wird, wäre der neue EU-Vertrag praktisch fertig.

Die EU-Kommission will den Ratspräsidenten nicht – und auch die kleinen Mitgliedsländer sind dagegen. Man darf gespannt sein, ob den Außenministern der beiden mächtigsten EU-Länder die Elefantenhochzeit im Konvent dennoch gelingt. Die Kleinen feilen derzeit an einer Gegenposition. Auch sie wissen, dass die halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft in einer Union mit 25 Mitgliedern nicht mehr praktikabel ist. Die Beneluxstaaten, Griechenland, Österreich und Irland sind nur Mücken im Vergleich zu den beiden schwergewichtigen Elefanten – aber, wie der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker zu sagen pflegt: Es ist noch nie bekannt geworden, dass ein Elefant eine Mücke geärgert hätte – umgekehrt aber schon.

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